2,8 Millionen Menschen in Deutschland sind Messies – Tendenz steigend. Die Krankheit wurde lange unterschätzt und wird mitunter noch immer belächelt. Sie ist jedoch therapierbar.
Zeitschriften stapeln sich im Flur, verschmutztes Geschirr türmt sich in der Küche und Müllsäcke versperren den Weg durch die Wohnung – das sind Bilder, die man beim Stichwort “Messie” im Kopf hat. “So einfach ist das Messie-Syndrom aber nicht zu beschreiben”, erklärt Psychotherapeutin Veronika Schröter. Sie hat vor rund 25 Jahren das Messie-Kompetenz-Zentrum in Stuttgart gegründet. “Es handelt sich um ein sehr komplexes Krankheitsbild, das in drei unterschiedlichen Ausprägungstypologien in Erscheinung tritt.”
Eine davon ist das “pathologische Horten”, das mittlerweile von den Krankenkassen als medizinisches Krankheitsbild anerkannt wurde. “Die Betroffenen sammeln unbewusst unzählige Dinge an, weil diese ihnen Halt, Trost oder Orientierung geben”, berichtet Schröter. Dabei können sie nicht zwischen Brauchbarem und Unbrauchbarem unterscheiden – und sind deshalb nicht in der Lage, etwas auszusortieren. Ihre Wohnung wird immer voller.
Die Ursache für das unmäßige Sammeln liegt Schröter zufolge oft in der Kindheit: “Es kann sein, dass die Betroffenen sehr früh zu bestimmten Verhaltensweisen gezwungen wurden und deshalb keine eigene Alltagsstrategie entwickeln konnten.” Manche seien auch im materiellen Wohlstand aufgewachsen, hätten aber keine emotionale Zuwendung erfahren, sodass sie versuchten, diese Lieblosigkeit durch das Anhäufen von Gegenständen zu kompensieren.
Nach außen hin erscheinen viele Erkrankte indes als offene und optimistische Menschen mit einem Hang zum Perfektionismus. Zu Hause schieben sie allerdings viele Aufgaben vor sich her: Sie öffnen mitunter monatelang nicht ihre Post; Tätigkeiten wie Abspülen, Aufräumen oder Wäschewaschen sind ihnen unmöglich.
“Der Leidensdruck dieser Menschen ist enorm”, berichtet Schröter. “Sie schämen sich für das Durcheinander und verhindern mit allerlei Ausreden – vom Handwerker bis zum plötzlichen Unwohlsein – dass jemand die überfüllte Wohnung betritt.” Einsamkeit, ein niedriges Selbstwertgefühl und Depressionen können die Folge sein.
Unter den Oberbegriff “Messie” – die Bezeichnung leitet sich vom englischen Wort “mess” für “Chaos” ab – fällt auch das so genannte Vermüllungssyndrom, bei dem die Wohnung aufgrund mangelnder Hygiene unangenehm riecht und sich oft Ungeziefer breit macht. Suchterkrankungen, körperliche Einschränkungen oder geistige Beeinträchtigungen wie eine altersbedingte Demenz können der Grund sein. “Manchmal liegt auch eine Psychose vor, also eine schwere psychische Störung, durch die die Betroffenen in ihrer eigenen Welt leben und die Realität vernachlässigen”, so die Expertin. Durch die Psychose verändere sich auch die Wahrnehmung von Gerüchen.
Als Ausprägung des Messie-Syndroms hat Schröter in ihren Studien zudem das Krankheitsbild der Verwahrlosung erforscht. “Diese Menschen sind aus dem Sozialgefüge komplett ausgestiegen”, erläutert sie. “Sie waschen sich nicht mehr und wechseln auch ihre Kleidung nicht.” Der Tod eines engen Vertrauten, die Scheidung oder ein ähnlich einschneidendes Ereignis hätten, so Schröter, den Menschen in das Gefühl der Sinn- und Bedeutungslosigkeit gestürzt; eine Krise, die aus eigener Kraft nicht bewältigt werden könne.
Für alle Formen des Messie-Syndroms gilt, dass die Betroffenen nicht einfach nur zu faul zum Aufräumen, Putzen oder Waschen sind. Eindringlich warnt die Therapeutin deshalb davor, die Wohnung eines Betroffenen im Hauruck-Verfahren oder gar gegen dessen Willen auszumisten. Mit dem gewaltsamen Wegwerfen der gehorteten Gegenstände nehme man den Erkrankten die Sicherheit, die sie sich damit aufgebaut hätten, und stürze sie in Panik und Verzweiflung. Auch dürfe ein verwahrloster Mensch nicht einfach zum Waschen gezwungen werden. Ein möglicher Schritt zur Heilung sei aber, ihn an das zu erinnern, was ihm früher Freude bereitet habe und herauszufinden, was für ihn immer noch lebenswert sein könnte.
Für alle Ausprägungen des “Messie-Syndroms” hat Schröter mehrstufige therapeutische Behandlungspläne entwickelt, in die auch die Angehörigen und gegebenenfalls die Vermieter einbezogen werden. Ein Entgegenkommen letzterer sei besonders wichtig, da vielen Messies andernfalls eine Räumungsklage und Wohnungslosigkeit drohten.