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Bundespräsident besucht Ausstellung zu Rilke in Marbach

Bundespräsident Steinmeier hält Rainer Maria Rilke nicht mehr für den einsamen Dichter, sondern für einen wahren “Kosmopoliten”. Beim Besuch der großen Schau in Marbach staunte er über die Fülle der Artefakte.

“Wollte Rilke immer Künstler werden?” – “War er an der Front?” – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich beim Besuch der großen Rilke-Schau am Donnerstag in Marbach als interessierter Leser des Dichters. Während seiner Oberstufenzeit sei Rilke das Maß aller Lyrik-Dinge gewesen. Damals habe Rainer Maria Rilke (1875-1926) dem Bild des einsamen Dichters entsprochen. Nun wollte Steinmeier wissen, “ob das noch tragfähig ist”.

Der Rundgang brachte Gewissheit: Die Direktorin des Deutschen Literaturarchivs (DLA), Sandra Richter, selbst Rilke-Expertin, führte das Staatsoberhaupt in Begleitung von Studierenden, Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne), Marbachs Bürgermeister Jan Trost sowie dem Präsidenten der Deutschen Schillergesellschaft, Kai Uwe Peter, durch die erhellende Schau. Denn sie zeigt, dass Rilke eben nicht der einsame Dichter gewesen ist, sondern ein weit gereister und europaweit vernetzter “Kosmopolit” und Freund einflussreicher Frauen wie der Schriftstellerin Lou Andreas-Salomé.

Die Schau ist für Steinmeier dank des Ankaufs des Rilke-Archivs Gernsbach 2022 eine “wirklich wichtige Ausstellung, die unser kulturelles Gedächtnis erheblich erweitern wird”. Bereits 2017 hatte sich der zu dem Zeitpunkt frisch gebackene Bundespräsident begeistert von den Marbacher Literaturmuseen gezeigt. “Wenn man Literatur liebt, ist das einer der schönsten Orte der Republik”, bekannte er damals.

Seine Antrittsreise nach Baden-Württemberg führte ihn vor gut acht Jahren in die Schillerstadt. Er besuchte die Schau “Rilke und Russland” – eine Ausstellung, die in Zusammenarbeit des DLA mit dem Schweizerischen Literaturarchiv Bern, dem Strauhof Zürich und dem Staatlichen Literaturmuseum der Russischen Föderation in Moskau entstand.

Von solchen Kooperationen kann erstmal keine Rede mehr sein, sie wären wahrscheinlich auch überhaupt nicht möglich. Aber das ist bei dem prall gefüllten Rilke-Bestand des DLA auch nicht nötig – dank des Erwerbs des privaten Nachlasses. Der Kauf galt als Paukenschlag, da es sich um eines der bedeutendsten Autorenarchive des 20. Jahrhunderts handelte.

Steinmeier: “Man sieht einfach, dass die im Nachlass erworbenen Dokumente dieses Rilke-Bild auch wirklich verändern helfen.” Vieles wird in der aktuellen Ausstellung erstmals gezeigt. Ihr Titel “Und dann und wann ein weißer Elefant. Rilkes Welten” stammt aus dem Gedicht “Das Karussell”. Das wiederum gehört wie die “Blaue Hortensie” und natürlich “Der Panther” zu seinen “Dinggedichten”. In einer Vitrine liegt ein kleines Notizbuch von 1902 mit einer passenden Zeichnung. Die “Dinggedichte” zählen wie Rilkes einziger Roman “Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge” von 1910 zur mittleren Schaffensperiode.

Steinmeier beugt sich über ein Schriftstück und fragt: “Aber das ist doch im Großen und Ganzen autobiographisch?” Richter: “Wir sagen heute eher autofiktional.” Rilke sei einfach mit dem Großstadtleben in Paris nicht zurechtgekommen. Richter fasst es so zusammen: “Er ist quasi der ästhetische Jesus, er leidet mit uns allen.”

Zeitlebens haderte der katholisch Getaufte mit der Religion. Der ebenfalls aus Prag stammende Max Brod hat laut Richter erfolglos versucht, Rilke für die jüdische Kultur zu gewinnen. “Der war ihm wahrscheinlich zu politisch”, mutmaßte Steinmeier. Auch scheine ein kultureller Antisemitismus in Rilkes Briefen manchmal durch, so Richter.

Was es denn mit Rilkes Verehrung für den Faschismus Mussolinis in den Jahren vor seinem Leukämie-Tod in der Schweiz auf sich habe, will Steinmeier wissen. Richter warnte davor, das zu überschätzen. “Rilke war immer kurzzeitig entflammbar.” Er sei ein apolitischer Autor. Vielleicht habe ihn auch sein Kosmopolitismus geschützt, ins Völkische abzugleiten, meinte Steinmeier.

Nach dem Rundgang sprach er mit Studierenden von den Universitäten Tübingen und Stuttgart. Steinmeier erkundigte sich nach ihren Studien und was sie von der popkulturellen Vereinnahmung von Rilke, zum Beispiel durch das Tattoo von Lady Gaga, hielten. Das fanden sie positiv, schließlich könne man dadurch mehr Junge für Literatur begeistern. Weniger begeistert denn belustigt zeigte sich Steinmeier kurz vor Abfahrt über die Journalisten-Frage, ob er etwas von Rilke zitieren möchte. Steinmeier lachte: “Gedichte sag’ ich nur an Weihnachten.”