„Welcome to the shariah court“, sagt Scheich Mohammed Abou Zaid, als er den Raum betritt. Mit einer Art Robe bekleidet steht er vor uns.
Mohammed Abou Zaid ist der Richter an einem muslimischen Gericht in Saida, dem biblischen Sidon, das wir besuchen. Gerade hatte er ein Gespräch mit dem indonesischen Botschafter geführt und schnell wird klar, dass der Scheich eine religiöse Autorität in der Stadt und Region ist.
Unsere Reisegruppe, die zugegeben ein bisschen überrascht ist, mit dem Botschafter noch ein Foto zu machen, besteht aus 15 Theologiestudierenden der Ruhr-Universität Bochum, alles angehende Pfarrerinnen und Pfarrer oder Lehrerinnen und Lehrer. Unter der Leitung von Claudia Rammelt, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchen- und Christentumsgeschichte der evangelisch-theologischen Fakultät, haben wir uns auf den Weg in den Nahen Osten gemacht.
Gegenwart und Moderne – Tradition und Moderne
An einem sonnigen Tag gehen wir durch die Beiruter Innenstadt. Antike Stätten tun sich hier mitten in der Stadt auf, direkt neben Einkaufszentren, Kirchen und Moscheen. Diese modernen Einkaufszentren, wie sie auch in jeder europäischen Metropole stehen könnten, befinden sich in direkter Nähe zu Stadtvierteln, in denen viele sozial schlechter gestellte Menschen leben.
Der Kontrast und gleichzeitig das Zusammenwirken von Gegenwart und Vergangenheit, Tradition und Moderne ist hier besonders wahrzunehmen. So werden an einer Straßenecke – auf offener Straße – für das anstehende muslimische Opferfest Idu-l-Adha zwei Schafe geschlachtet. Eine Tür weiter, in einem Geschäft mit Neon-Leuchtreklame, kann man Handys und DVDs mit westlichen Filmen kaufen. Auch hängt am Zaun einer großen Moschee ein Werbebanner für Sandwiches eines multinationalen Konzerns.
Der Libanon – Vielfalt in jeder Hinsicht
Aktuell sind 18 verschiedene Religionsgemeinschaften anerkannt. Diese religiöse Vielfalt spiegelt sich auch im politischen System wider. Seit 1926 ist der Libanon eine Republik und eine parlamentarische Demokratie. Die Verfassung des Gründungsjahres regelt auch die Besetzung der Posten in der Regierung und Sitze im Parlament. Diese werden gleichberechtigt nach Zugehörigkeiten zu den einzelnen Religionen verteilt, das nennt man konfessionelle Parität.
So ist das Staatsoberhaupt immer ein maronitischer Christ und der Regierungschef ein sunnitischer Muslim. Der Libanon ist aktuell das einzige Land der Welt, in dem dies aktiv praktiziert wird.
Die Bewertung der konfessionellen Parität ist durchaus unterschiedlich. Vor allem junge Menschen und Hilfsorganisationen sehen dieses System kritisch. Es kommt zu teils großen Demonstrationen in Beirut. Doch die Vertreter der einzelnen Konfessionen, die wir treffen, egal ob Sunniten, Schiiten, Maroniten, Orthodoxe oder Drusen, sind zufrieden. Dieses System gebe Sicherheit und Struktur, sich in der Vielfalt in Religion und Gesellschaft zurechtzufinden, so die weit verbreitete Haltung. Diese Vielfalt, die auch für uns wahrzunehmen ist, gelte es auszuhalten. Meinungen und Ansichten, die – je nachdem mit wem wir sprechen – absolut entgegengesetzt ausfallen können.
Die Regierung des Libanon ist dementsprechend in ihrer Meinung und ihren Zielen ebenfalls uneinheitlich. Dies wirkt sich aktuell auf verschiedene, vor allem sozial-politische Fragen aus. Die Tatsache, dass der Libanon seit Mai 2014 keinen Präsidenten hat, verschärft diese Probleme.
Syrien, IS und konfessionelle Hilfe für Geflüchtete
Wir befinden uns in der großen Moschee in Saida. Imam ist hier Scheich Mohammed Abou Zaid, neben seiner Tätigkeit als Richter. Wir sitzen zum Gespräch zusammen, alle Fragen sind erlaubt. Die Themen sind bei allen unseren Gesprächspartnern ähnlich: Syrien, der Islamische Staat (IS), die Geflüchteten im Land, die sozialen und politischen Probleme und die persönlichen Einschätzungen unserer Gegenüber dazu.
„Religion versucht, Dinge zu rechtfertigen, die nicht gerechtfertigt werden können“, sagt der Scheich und trifft damit die Konflikte in Syrien vermutlich im Kern. Die Entwicklungen seit 2011 erschüttern die Region und den Libanon. Seit Jahrzehnten schon nimmt der Libanon viele Flüchtende auf. Nach der Staatsgründung Israels 1948 flüchteten viele Palästinenserinnen und Palästinenser in den Libanon.
Land am Limit: 25 Prozent der Bevölkerung sind Flüchtlinge
In jüngster Vergangenheit kamen Menschen aus Afghanistan, dem Irak und aktuell aus Syrien – dieses Land läuft am Limit: Sauberes Trinkwasser ist knapp, das Stromnetz ist in allen Teilen des Landes überlastet. Oft saßen wir überraschend im Dunkeln. Und es kommen täglich mehr Menschen, die hierher fliehen, in das einzige Land, in das Syrerinnen und Syrer noch legal reisen können.
Der UNHCR, das „Flüchtlingshilfswerk“ der Vereinten Nationen, geht von rund 1,2 Millionen Geflüchteten im Libanon aus. Vermutlich sind es eher zwei Millionen. Sie leben in den meisten Fällen unter schlechten humanitären Bedingungen.
Beispielsweise in der Beqaa-Ebene. Hier stellen UNICEF und das christliche Hilfswerk Worldvision die wichtigsten Dinge zum Überleben bereit: Planen, Wasserbehälter und einfache Toiletten in Metallverschlägen.
Wenige Geflüchtete schaffen einen sofortigen Neuanfang, wie der Hausmeister der Moschee in Saida, der Verkäufer in unserem „Stamm-Supermarkt“ oder einer unserer Taxifahrer. Letztlich sind dies Ausnahmen in einem Land, das mit der Situation völlig überfordert ist. Mehr als 25 Prozent der Bevölkerung sind Geflüchtete. Und gerade gegenüber Menschen aus Syrien ist die Akzeptanz in der Bevölkerung schwierig – bis 2005 hatte Syrien den Libanon noch besetzt.
Bei allen Unterschieden: Eine zentrale Gemeinsamkeit