Flut im Ahrtal, Waldbrände, vertrocknete Wiesen: Wenn Landstriche trist und leblos werden, kann das traurig machen. Der Fachbegriff dafür heißt Solastalgie – das Leiden an der Trostlosigkeit.
Schon wenn ein alter Apfelbaum gefällt wird, der im Garten der Kindheit stand, kann das einen Menschen sehr traurig machen. Wie verkraftet man aber, wenn man sein Zuhause in Wassermassen verliert oder es ein Hitzebrand vernichtet?
Der Schmerz über den Verlust von Naturräumen, Pflanzen und Tieren hat sogar einen Namen: Solastalgie – Leiden an Trostlosigkeit. Bereits 2005 prägte der australische Umweltwissenschaftler Glenn Albrecht den Begriff, der sich aus dem lateinischen solacium (Trost) und dem griechischen algia (Schmerz, Leiden) zusammensetzt. Der Forscher definierte ihn als Schmerz über den Verlust tröstlicher heimatlicher Geborgenheit.
Dieses Gefühl wird nicht erst durch Naturkatastrophen hervorgerufen. Wenn der Bodensee als größter See Deutschlands plötzlich mit Niedrigwasser kämpft und in Ufernähe statt blauer Fluten schlammig-stinkender Boden zu sehen ist, lässt das den Urlauber, der seit Jahrzehnten herkommt, mit einem unbehaglichen Gefühl zurück. Ähnlich bedrückend war es zuletzt mitunter in Freiburg: Die berühmten Bächle der Stadt – kleine Wasserläufe, die Kinder von jeher zum Planschen und Bötchen fahren animieren – liegen in besonders heißen Sommern ab und an auf dem Trockenen.
“Solastalgie entsteht, wenn wir wahrnehmen, wie sich die Natur um uns herum grundlegend verändert. Wenn wir etwa bemerken, dass wir im Alltag bestimmte Pflanzen oder Tierarten viel weniger oder gar nicht mehr sehen oder sie wie jetzt im Sommer aus Wassermangel schlicht vor unseren Augen verdorren”, sagt Psychologin Lea Dohm, die kürzlich das Buch “Klimagefühle” veröffentlicht hat.
So könne auch “die Rückkehr an Plätze unserer Kindheit oder einen alten Urlaubsort Gefühle von Kummer oder Traurigkeit in uns auslösen: Wenn wir diese Orte über eine etwas längere Zeit nicht mehr gesehen haben, fallen uns die Veränderungen und Zerstörungen besonders auf”, erklärt sie. Menschen, die naturnah leben oder einen naturnahen Beruf ausüben wie etwa Förster oder Landwirte, können demnach besonders von Solastalgie betroffen sein.
Insgesamt zeige sich dies “durch eine breite Palette von Traurigkeitsgefühlen, wie Kummer, Niedergeschlagenheit, mitunter auch depressiv anmutenden Verstimmungen. Diese können auch mit Ängsten und Sorgen verbunden sein”, sagt Dohm. Der Weltklimarat hat nach Angaben des Instituts für Klimapsychologie im vergangenen Jahr das Phänomen der mentalen Belastung durch einschneidende Umweltveränderungen erstmals in seinen Bericht aufgenommen.
Haben Menschen nicht immer schon ihre Lebensräume verändert? Das sei zwar richtig, sagt Dohm. “Nur sind die ökologischen Veränderungen, die wir bereits heute und in der Zukunft durch die Klimakrise noch viel mehr erleben werden, viel schneller von Naturkatastrophen und Extremwetterereignissen geprägt und zerstören Lebensräume im großen Stil irreversibel”. Die Geschwindigkeit, mit der diese Zerstörung von Lebensräumen stattfinde, sei mit der Vergangenheit nicht vergleichbar.
Dabei brauchen Menschen die Natur zum Glücklichsein. Manche Untersuchungen besagen, dass das Leben im Grünen zufriedener macht. Auch der Philosoph Jean-Pierre Wils, der ein Buch über den Trost geschrieben hat, schildert, wie die Natur in schwierigen Lebenssituationen tröstend wirken könne.
Besonders Bäume hätten diese Wirkung. “Man kann sie umarmen, ohne dass sie, wie es bei Blumen passieren würde, wegknicken”, so Wils. Sie spenden Schatten, halten Stürmen stand. An ihnen lassen sich die Jahreszeiten ablesen, die den Menschen für den immerwährenden Kreislauf der Natur sensibilisieren.
Entsprechend empfiehlt Wils dem Menschen, nicht alles kaputt zu machen, was er für seinen Trost eigentlich benötigt. “Nichts ist trostloser als die vertrockneten Wälder, die uns nur noch über ihr eigenes Ableben berichten. Ein gütiges Trostbecken droht uns abhandenzukommen, wenn wir unsere Heimat verlieren.”