Seit ihrer Gründung ist die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr umstritten. Zum sechzigsten Jahrestag sprach Markus Kowalski mit Militär-bischof Sigurd Rink über verbeamtete Pfarrer, die Sinn-haftigkeit von Kriegseinsätzen und die Frage, ob Töten legitim ist.
Herr Rink, Sie sind oft auf Auslandsreisen unterwegs. Was war Ihr bisher emotionalstes Erlebnis?Auf meiner allerersten Reise war ich im Kosovo unterwegs. Plötzlich hörte ich ein unbekanntes Geräusch: Frrrrr… Frrrrr. Wir waren in einem Konvoi unterwegs und haben erst einmal geschwiegen, dann sagten die Feldjäger: Kalaschnikow. Wir gingen raus und eine Menschentraube hatte sich um ein Brautauto versammelt. Das war vor das Rathaus gefahren und von Gewehrsalden durchlöchert worden. Ich weiß nicht, was aus der Braut geworden ist.Bei der Gründung der Militärseelsorge 1957 hat der Theologe Hans Iwand kritisiert, dass sich die Kirche am „blutigen Handwerk“ des Krieges beteiligen würde. Unterstützen Sie den Krieg?
Krieg ist ein blutiges Handwerk, daran ist nichts zu verharmlosen. Bei der Unterzeichnung des Staatsvertrags über die Militärseelsorge war das Ende des Zweiten Weltkriegs gerade einmal zwölf Jahre her. Da kann ich das Befremden über eine deutsche Wiederbewaffnung verstehen. Ich denke aber, dass der Vertrag in dem Spannungsverhältnis zwischen Staat und Kirche insgesamt eine gute Balance hält. Heute ist unumstritten, dass die Soldatinnen und Soldaten eine bestmögliche seelsorgerliche Begleitung brauchen. Diese „Staatsbürger in Uniform“ haben in den Einsätzen einen grundgesetzlichen Anspruch auf freie Religionsausübung. Wie soll das in Masar-e Scharif stattfinden, wenn dort kein Militärpfarrer ist? In den Verheerungen des Nationalsozialismus wurden von den Geistlichen anfeuernde Front-Predigten gehalten.Jetzt sagt der Militärseelsorgevertrag, dass die Geistlichen komplett aus dem Hierarchie und militärischen Auftrag rausgenommen werden. Die Militärseelsorge soll so eng wie möglich an den Landeskirchen angegliedert sein.
Dabei steht die Militärseelsorge nur unter Ihrer theologischen Leitung. Bezahlt und verbeamtet sind die Geistlichen aber beim Staat. Wie steht es da um die Trennung von Staat und Kirche?
Die Geistlichen sind vollends unter kirchlicher Leitung. Sie bleiben Pfarrer einer Landeskirche und werden nur temporär an den Staat entsandt, für mindestens sechs und maximal zwölf Jahre. Diese Lösung ist umstritten. Doch es ist eben extrem schwierig, in einem staatlichen Hoheitsgebiet, wo es um Gewaltanwendung und Hochsicherheitsbereiche geht, Zugang zu erhalten. Deswegen braucht man die Verbeamtung auf Zeit, damit der Zugang der Geistlichen über eine staatliche Administration abgesichert ist.Was sagt ein Seelsorger dem Soldaten: Ist das Töten legitim?Das ist ja die Gretchenfrage …
… die wir deswegen stellen.
Am Ende des Tages ist die Bundeswehr mehr als ein technisches Hilfswerk. Natürlich geht es darum, dass das staatliche Gewaltmonopol zur Verteidigung des Landes und des Bündnisses vorgehalten wird. Das will ich nicht weichzeichnen. Soldaten werden auch als Kampftruppen ausgebildet.Ist es noch christlich, wenn sich Kirche in dieses Töten einmischt?Bei Luthers Gelegenheitsschrift „Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können“ geht es genau um diese Frage. Der Söldnerführer Assa von Kram wendet sich nach den Gemetzeln des Bauernkriegs an Luther. Dieserhat eine Haltung gehabt, die uns heute fragwürdig erscheint. Trotzdem trifft er eine zukunftsweisende Unterscheidung für die Gewissensbindung des Soldaten: Wenn ich als einzelner Christenmensch bedroht werde, muss ich Gewalt erleiden. Aber ich lebe auch in meinem Land und habe die Verpflichtung, andere Menschen zu schützen, wenn sie bedroht sind. Das ist ultra modern, weil die Vereinten Nationen genau das 2005 als Schutzverantwortung im internationalen Völkerrecht festgeschrieben haben. Was Luther 1526 geschrieben hat, hat bis heute Bedeutung. Luther sagte auch: Das gilt nur im Verteidigungsfall, der Angriffskrieg ist grundsätzlich falsch. Er geht sogar so weit, zu sagen: Der Soldat, der einem falschen Zweck dienen soll, muss den Befehl verweigern.Den Verteidigungsfall definiert aber nicht die Kirche, sondern der Bundestag. Was passiert, wenn Kirche durch die Seelsorge an einem Einsatz beteiligt ist, den sie nicht gerechtfertigt sieht?
Indem wir Soldaten seelsorgerlich begleiten, sagen wir nichts über die Sinnhaftigkeit eines Einsatzes aus. Wir halten nicht unbedingt jeden Einsatz, den der Bundestag beschließt, für sinnhaft. In meinen Äußerungen in der Vergangenheit habe ich zu vielen Einsätzen beredt geschwiegen. Wir sind nicht diejenigen, die gesagt haben: Hurra, es gibt einen neuen Einsatz!Aber Sie haben auch nicht „nein“ gesagt.
Das war sehr unterschiedlich. Nehmen wir die Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga. Damals gab es keine internationale Vereinbarung. Nach den engen Kriterien der EKD-Friedensdenkschrift ist das ein kritischer Fall, denn es geht um kleine Waffen, die direkt in Krisengebiete kommen sollten. Aber es war auch deutlich: Wenn hier nicht schnell gehandelt wird, werden die Menschen in der Region schutzlos der Vernichtung durch den IS preisgegeben. Insofern gab es auch Stimmen, die sich nach genauem Abwägen für eine Waffenlieferung ausgesprochen haben.In welchen Situationen würde die Kirche Einsätze nicht nur zähne-knirschend akzeptieren, sondern auch mal „nein“ sagen?
Wenn es zu einem Alleingang der Bundesregierung kommen würde und es erkennbar nicht um den Schutz von Menschenrechten ginge.
Verteidigungsministerin von der Leyen hat gerade einen 130-Milliarden-Euro-Plan vorgelegt, mit der die Bundeswehr bis 2030 ausfinanziert werden soll. In einem Aufruf fordern 200 Pfarrer, das Geld besser für Menschen in Hunger und Elend auszugeben. Was denken Sie?Das ist keine Entweder-oder-Frage. Beide Institutionen, Bundeswehr und Entwicklungszusammenarbeit, müssen gefördert werden. Es ist eine Schande, dass die hohen Summen an Geldern, die als Entwicklungshilfen ausgegeben werden, bisher nicht wirksam waren, um die schwierige Situation südlich der Sahara zu befrieden. Gleichzeitig wurde die Bundeswehr in den letzten 25 Jahren durch Sparmaßnahmen ausgehöhlt und bietet heute ein ernüchterndes Bild. Wenn die Bundeswehrfür schwierige Aufträge in gefährliche und fordernde Einsätze geschickt wird, halte ich es für absolut legitim, ihr für eine bessere Ausrüstung mehr Geld zu geben.In der DDR war die Kirche mit der Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ sichtbar. Sollte die Kirche nach 60 Jahren Militärseelsorge nicht umdenken und mehr Friedensarbeit leisten, anstatt mit in den Krieg zu ziehen?
Unsere Soldatinnen und Soldaten, besonders denen, die in hoher Verantwortung stehen, ist ein vernetzter Ansatz wichtig. Niemand will in den Krieg ziehen. Militär kann Frieden nicht herstellen, sondern nur eine friedliche Entwicklung flankieren. Umgekehrt erklären viele NGO’s, ohne militärischen Schutz ihre Arbeit nicht tun zu können.Mit dem EKD-Friedensbeauftragten Renke Brahms bin ich mir als Militärbischof völlig einig, dass zivile Lösungen bei Konflikten Vorrang haben müssen. Denn die evangelische Friedensethik muss in allen Feldern durchgehalten werden, auch bei Auslandseinsätzen.