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Bildungsoffensive mit Modellcharakter

Das von Kirche und Politik geförderte Pilotpojekt „open4“ der Evangelischen Erwachsenenbildung will Bildungsangebote für Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen aus der Aufnahmegesellschaft gemeinsam attraktiv machen

„Das Projekt ist eine klasse Sache. Man kann Erfahrungen teilen, Impulse bekommen und gemeinsame Veranstaltungen entwickeln“, sagt Matthias Walter aus Siegen. Der 30-Jährige ist Mitglied des russisch-deutschen Kulturzentrums „Litera“ – einem Partner im „open4“-Projekt des Evangelischen Erwachsenenbildungswerkes Westfalen und Lippe e.V. (EBW). Das vom Bundesinnenministerium und von der Landeskirche geförderte Pilotprojekt widmet sich der Fragestellung, wie Bildungsangebote gestaltet werden können, damit sie Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen aus der Aufnahmegesellschaft gleichermaßen anlocken.
Hierfür arbeitet das EBW in den Modellregionen Dortmund, Minden-Lübbecke und Siegen eng mit neun Migrantenorganisationen zusammen. Darunter finden sich zum Beispiel die Alevitische und die Griechisch-Orthodoxe Gemeinde in Dortmund, die Jüdische Kultusgemeinde Minden und Umgebung, Stelle Chiare – Förderverein der italienischen Kultur in Siegen – oder auch der Verein junger Deutsch-Afrikaner in Dortmund.
„Die Weiterbildungsveranstaltungen bei open4 sind sehr aufschlussreich und konstruktiv. Es ist eine gute Möglichkeit, sich zu vernetzen und Ideen zu entwickeln“, sagt Emin Özden von der „Gesellschaft Ezidischer Akademiker und Akademikerinnen“ in Bielefeld. Er sieht allerdings noch viele Unterschiede zwischen etablierten Bildungswerken und Angeboten der Migrantenorganisationen. Die open4-Teilnehmenden würden deswegen zu Schnittstellen und Brückenbauern.
Die Bildungsberichte 2014 und 2016 der Bundesregierung unterstreichen „die mangelhafte Teilhabe von Personen mit Migrationshintergrund an Weiterbildungsmaßnahmen. Es besteht deshalb ein großer Handlungsdruck im Bereich inklusiver Bildungs- und Integrationsangebote“, weiß auch Jörg Neuhaus, stellvertretender Geschäftsführer des EBW. Daraus zieht das Bildungswerk als bundesweit größter evangelischer Erwachsenenbildungsträger mit jährlich rund 120 000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen sowie mehr als 8000 Veranstaltungsangeboten seine Konsequenzen.
Zum einen wurde mit Marissa Turaç eine Mitarbeiterin gewonnen, die sich schwerpunktmäßig um das Projekt open4 und das Arbeitsfeld „Migration und Integration“ kümmert. Zum anderen überarbeitete das Werk sein Leitbild und seine Satzung. „Die interkulturelle Öffnung muss durchbuchstabiert werden: Was heißt das für die Entwicklung der Angebote, für die Auswahl der Dozenten, für die Werbung? Für unser evangelisches Profil? Das ist ein längerer Prozess“, so Antje Rösener, die Geschäftsführerin des EBW.
Diese Gedanken und Entwicklungen im EBW passen auch zur diesjährigen Hauptvorlage für die Synode der Evangelischen Kirche von Westfalen „Kirche in der Migrationsgesellschaft“. Auch die im Projekt engagierten Personen stellten fest, dass sie sich für diese neuen ­Herausforderungen weiterqualifizieren müssen: Im April fand beispielsweise eine Veranstaltung zur interkulturelle Kommunikation statt.
Für den Herbst ist eine gemeinsame, multikulturelle Studienfahrt nach Lublin und Warschau geplant. In den Regionen laden die Projektpartner beispielsweise zu einem Filmabend mit den Film „Háwar – meine Reise in den Genozid“ mit anschließender Diskussion ein (Minden-Lübbecke) oder zu einem Seminar rund um die Vereinsgründung in Deutschland.
Open4 wird vom Politikwissenschaftler Uwe Hunger von der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse sollen dann ausgewertet werden und als Grundlage für die Entwicklung der Weiterbildung in ganz Deutschland genutzt werden.