Die Auseinandersetzung mit der Reformation im Schulunterricht bleibt nach Ansicht des Bildungsexperten Andreas Zodel auch nach 500 Jahren relevant. Problemorientierte und kontroverse Diskussionen regten dazu an, historische Entwicklungen kritisch zu reflektieren und über die eigene Glaubensüberzeugung nachzudenken, sagte der langjährige Gymnasiallehrer für Geschichte, Politik und katholische Religion, Schulbuchautor beim Cornelsen Verlag und Professor des baden-württembergischen Gymnasiallehrkräfteseminars in Weingarten im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Wie und wo finden Martin Luther und die Reformation heute ihren Platz in der Schule?
Zodel: Die historische Persönlichkeit Martin Luther und die Reformation gelten wie eh und je als unumstrittene Bestandteile des Geschichtsunterrichts. Im Unterschied zu früheren Jahren, in denen die daten- und faktenbasierte Darstellung der historischen Ereignisse einen sehr breiten Raum einnahm, wird das Thema jetzt strukturgeschichtlich in den Aspekt des Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit eingebettet. Die Reformation wird als verändernde Zäsur betrachtet, und im Blick auf die Charakterisierung und Beurteilung dieser Epochenwende wird gefragt: Weshalb ist das zentral in unserer Geschichte? Welche religiösen, gesellschaftlichen und damit verbundenen politischen Veränderungen finden statt? Welche Wechselwirkungen sind erkennbar und wie sind die politischen Folgen zu beurteilen? Was wirkt zeitweise besonders nach, zum Beispiel im Verhältnis zur Obrigkeit?
epd: Inwieweit werden Kontroversen um Martin Luther, wie sein Antisemitismus, thematisiert?
Zodel: Man versucht natürlich, der Person und der Lehre Luthers unter Berücksichtigung der historischen Standortgebundenheit gerecht zu werden, hinterfragt diese aber auch kritisch. Antisemitismus ist da ein Element oder die dann doch unterstützende Haltung Luthers zur Obrigkeit, sichtbar in seiner Positionierung im Bauernkrieg und in der Begründung des landesherrlichen Kirchenregiments. Luther ist das Beispiel einer ambivalenten Persönlichkeit, die einerseits massiv verändernd wirkt, die aber andererseits auch in ihrer Zeit und ihrem Raum gebunden ist, eine historische Gestalt zwischen den Welten. Anknüpfend an die Frage „Ist es schon ein Mann der Neuzeit oder noch des Mittelalters?“ lassen sich so auch Widersprüche und Kontroversen thematisieren.
epd: Und im Religionsunterricht?
Zodel: Oft haben Schülerinnen und Schüler keine religiöse Identifikation mehr von Haus aus. Wissen über die Konfessionen und Grundlagen des Glaubens werden so vielfach erst im Religions- oder Ethikunterricht erworben. Für die Schaffung einer konfessionellen Identität kann die Thematik Reformation wichtige Anstöße geben, in reflexiver Form vor allem in der Oberstufe. Problemorientierte und kontroverse Debatten regen zum Nachfragen und Nachdenken darüber an, was sinnstiftend für die eigene Glaubensüberzeugung ist und wo Luther vielleicht ein Vorbild sein kann. (2190/28.09.2024)