Von Sigrid Querhammer
„Ich bin in Südkorea bekannter als in Deutschland“, ist sich Gerda Ehrlich (81) sicher. Das hat mit ihrem Engagement für die Menschen in Nordkorea zu tun und einem Interview im südkoreanischen Fernsehen im Jahr 2013. Eine südkoreanische Menschenrechtsorganisation hatte sie eingeladen.
Alles begann mit einem VortragGeplant war das alles nicht. In den 1990er Jahren organisierte sie für eine Berliner Gruppe der Akademiker-SMD (Studentenmission in Deutschland) die Vortragsreihe „Wider das Vergessen“. Die Verbrechen des Nationalsozialismus waren ebenso Thema wie der Völkermord an den Armeniern und die Situation in Nordkorea, jenem abgeschotteten Land, aus dem fast nichts nach außen dringt.
Nirgends sei die Christenverfolgung schlimmer, erfuhr Gerda Ehrlich. Der große Führer Kim lässt sich wie ein Gott verehren. Auf Bibelbesitz steht die Todesstrafe oder Konzentrationslager. Nicht nur Christ*innen landen im Lager. Ein Witz oder eine andere Lappalie genügen. Was Überlebende berichten, ist unerträglich: Bis zu 16 Stunden härteste körperliche Arbeit, 365 Tage im Jahr, schlechte Verpflegung, keine medizinische Versorgung, brutale Vergewaltigungen und Zwangsabtreibungen, Folter, Erschießungen. Nur wenige können davon berichten, die meisten sterben. Bis zu einer Viertelmillion Menschen leiden in den Lagern, bei nur 25 Millionen Einwohner*innen.
Nach diesem Vortrag im August 2009 wusste Gerda Ehrlich, dass sie etwas tun muss. Eine Bibelstelle ging ihr nicht mehr aus dem Kopf: „Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache derer, die verlassen sind“ (Sprüche 31,8). „Es war, als wenn Gott persönlich zu mir gesprochen hätte“, sagt sie.
Jede Woche eine Stunde, bei jedem Wetter
Sie holte Erkundungen ein und suchte sich einen Mitstreiter. „Ich fragte einen Nachbarn, ein alter Westberliner 68er, kein Christ.“ Am 11. und 18. September 2009 standen sie gemeinsam vor der Nordkoreanischen Botschaft. Mit selbst gemalten Plakaten protestierten sie gegen Christenverfolgung, Konzentrationslager, das Atomprogramm und eine Politik, in deren Folge Menschen verhungern. Bald kamen christliche Freunde mit, auch Südkoreaner.
Seitdem stehen sie jede Woche eine Stunde dort, bei jedem Wetter und jetzt mit Maske und Abstand. Zur Gruppe gehören inzwischen zwölf Personen. Einmal im Jahr unterstützt sie eine evangelische Schulklasse aus Südkorea. Aus der Botschaft werden sie genau beobachtet. Ein Mitarbeiter fragte wütend: „Gibt es denn in Deutschland keine Konzentrationslager?“ „Nein“, antwortete Gerda Ehrlich. Angst hat sie keine. „Wenn ich Angst hätte, könnte ich das nicht machen.“ Von der Polizei weiß sie, dass sich die Botschaft regelmäßig bei den Behörden über die Proteste beschwert.
Wichtig ist Gerda Ehrlich das gemeinsame Gebet vor jeder Mahnwache. „Wir beten um Schutz und Wirksamkeit.“ Einmal fragten junge Chinesen, die im mittlerweile geschlossenen Hostel der Botschaft übernachteten: „Habt ihr keine Angst vor der Polizei?“ Sie verstand die Frage gut. „Ich habe 40 Jahre in der DDR gelebt. Keine zehn Minuten hätten wir mit unseren Plakaten auf einem öffentlichen Platz gestanden.“