Bertha von Suttner (1843-1914) gilt als geistige Mutter des Friedensnobelpreises. Die zeitweilige Privatsekretärin und langjährige Freundin von Alfred Nobel hatte ihn gedrängt, die Ehrung zu stiften. Und sie machte sich seit der ersten Verleihung 1901 Hoffnung, selbst geehrt zu werden. Doch es sollte vier Jahre dauern, bis es tatsächlich so weit war: Vor 120 Jahren, am 10. Dezember 1905, bekam die Pazifistin den Friedensnobelpreis, als erste Frau.
Die Preisverleihung war damals wie heute am Todestag des Stifters. Doch anders als heute wurden die Namen der Preisträger seinerzeit auch erst am 10. Dezember bekannt gegeben, wie Bjørn H. Vangen von der Bibliothek des norwegischen Nobelinstituts auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) erklärte.
Suttner jedenfalls war am Tag ihrer eigenen Ehrung nicht in Oslo. „Sie hatte zur damaligen Zeit nicht das Geld, nach Oslo zu kommen“, erläutert Vangen. Ihre Nobelvorlesung habe sie erst 1906 gehalten.
Geldsorgen waren der aus einem böhmischen Adelsgeschlecht stammenden Pazifistin durchaus vertraut. Geboren wird sie am 9. Juni 1843 als Gräfin Kinsky von Chinic und Tettau, ihr Vater stirbt 75-jährig kurz vor ihrer Geburt, ihre Mutter bringt das Familienvermögen am Roulettetisch durch. Mit 30 Jahren tritt Bertha eine Anstellung als Lehrerin für Musik und Sprachen beim Industriellen Freiherr Karl von Suttner in Wien an.
Arthur, der jüngste Sohn der Familie, und die sieben Jahre ältere Bertha verlieben sich, werden getrennt, heiraten am Ende heimlich. In dieser Zeit macht Bertha die Bekanntschaft des schwedischen Industriellen Alfred Nobel, mit dem sich eine enge Freundschaft entwickelt. Sie motiviert ihn, bei der Stiftung der Nobelpreise nicht nur wegweisende Erkenntnisse in den naturwissenschaftlichen Disziplinen zu honorieren, sondern auch Friedensbestrebungen.
Arthur und Bertha von Suttner ziehen nach der Hochzeit vorerst ins heutige Georgien, wo das kinderlose Ehepaar nur spärliche Einnahmen hat. Sie verfasst unter anderem seichte Herz- und Schmerzgeschichten, befasst sich aber auch mit Philosophie, soziologischen Schriften und mit dem Völkerrecht. Bertha von Suttner wird darüber zur politischen Journalistin, die entschieden gegen Krieg und damit gegen den nationalistischen und militaristischen Zeitgeist kämpft.
1889 erscheint ihr pazifistischer Roman „Die Waffen nieder!“. Mehrere Verlage weigern sich zunächst, den Roman wegen der drastischen Schilderung von Kriegsgräueln zu drucken. Das Werk macht die Autorin schlagartig berühmt. „Die Waffen nieder!“ erscheint bis 1917 in Übersetzungen in 16 Sprachen. Bertha von Suttner warnt fortan auf Friedenskongressen vor den Gefahren von Krieg und Militarismus, setzt sich für Abrüstung und Schiedsgerichte ein.
Als 1902 ihr Mann stirbt, muss Bertha von Suttner das gemeinsame, überschuldete Gut aufgeben und siedelt nach Wien um. 1904 empfängt US-Präsident Theodore Roosevelt sie während einer Vortragsreise durch die USA im Weißen Haus.
Die Vergabe des Friedensnobelpreises ein Jahr später an die damals 62-jährige Suttner war „eine Sensation“, wie Clara Perras sagt, Wissenschaftlerin im Bereich feministische Friedens- und Konfliktforschung beim Peace Research Institute Frankfurt. Bertha von Suttner sei zu dieser Zeit „schon sehr lange eine zentrale Symbolfigur der europäischen Friedensbewegung“ gewesen. Gleichwohl sei ihre Rolle „als Frau und Intellektuelle und sehr gesellschaftskritische Person“ damals „durchaus provokant“ gewesen.
Im „sehr konservativen Österreich“ wurde Suttner nach Perras’ Einschätzung schon vor der Verleihung des Friedensnobelpreises stark kritisiert. „Da wurde sie beispielsweise als ‘Friedensbestie’ oder ‘Rote Bertha’ bezeichnet“, so Perras im epd-Gespräch. In Österreich sei die Vergabe des Nobelpreises dann auch verhalten aufgenommen worden. Aber: „Für die Friedensbewegung und für friedensbewegte Frauen war die Auszeichnung eine enorme Ermutigung“, unterstreicht Perras: „Ihre Worte und Visionen hatten nun durch diesen Preis noch mehr Gewicht.“
„Interessant ist, dass Bertha von Suttner sich selbst nicht als Feministin bezeichnet hat“, sagt die Forscherin, obwohl deren Biografie zeige, „dass sie sehr stark gegen damalige Vorstellungen, wie Frauen zu leben haben, rebelliert hat“. Gleichwohl hält Perras die Ideen von Bertha von Suttner für „den Ursprung eines feministischen Pazifismus’“.
Den Ersten Weltkrieg konnten jedoch weder Suttner persönlich noch die Friedensbewegung verhindern. Die erste Frau, die den Friedensnobelpreis bekam, erlebte den Kriegsbeginn nicht mehr: Bertha von Suttner starb am 21. Juni 1914, wenige Wochen vor Kriegsbeginn, an Krebs. Die nächste Frau, die den Friedensnobelpreis erhielt, war 1931 die US-amerikanische Feministin und Journalistin Jane Addams. Bis heute bekamen 92 Männer und 20 Frauen die Auszeichnung.