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Bereicherung und Verlässlichkeit

Die Kita ist ein wichtiger Ort, an dem Weichen für das Leben der Kinder gestellt werden. Wie läuft die Arbeit dort? Was sind Stärken, wo drückt der Schuh? Und warum gibt es so wenige Männer unter den Fachkräften? Zwei Fachleute antworten

© epd-bild / Markus Palzer

Ohne Kita geht es nicht. Der Ort, an dem Kinder oft entscheidend mitgeprägt werden, verdient besondere Aufmerksamkeit. Die Kita als Arbeitsplatz für Frauen und Männer –  Gerd-Matthias Hoeffchen sprach darüber mit zwei Experten: Jürgen Haas und Gudrun Seime.

Fehlen den Kitas die Männer?
GS: In den Kitas wird sehr gute Arbeit geleistet. Unabhängig davon, ob Frauen oder Männer das pädagogische Fachpersonal stellen. Aber klar, die Zahlen sind deutlich: Männliche Erzieher sind nach wie vor in der Minderheit.
JH: Aktuell sprechen wir von 4,2 Prozent für NRW in 2016.

Wo liegt das Problem?
JH: Die Kita ist traditionell ein von weiblichen Fachkräften geprägtes Arbeitsfeld, was oftmals bei der Berufswahl nicht im Blickfeld von Männern ist. Aber es tut sich was. 2007 hatten wir bei den Kitas in NRW erst drei Prozent männliche Erzieher. Da seitdem die Zahl der Fachkräfte insgesamt gestiegen ist, sind die absoluten Zahlen noch eindrucksvoller: 2193 Männer in 2007, 2016 dann schon 4476. Also eine Verdoppelung.
GS: Im Kita-Verband Recklinghausen werden es demnächst 16 Männer von etwa 170 pädagogischen Fachkräften insgesamt sein. Wir werben und bieten gute Bedingungen.

Was machen Männer als Erzieher denn anders?
GS: Männer gehen mit Kindern einfach anders um. Ich finde das faszinierend. Bei der Kinderbetreuung – durchgeführt von Männern –  bei einem Männertag, den die Männerarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen veranstaltet hat, konnte ich das sehen. Die üben Frisbee-Werfen, Arbeiten mit der Laubsäge. Legen sich mit den Kindern auf den Boden, bauen hohe Türme aus Bauklötzen…
JH: Mir berichten  Erzieher im Rahmen von Veranstaltungen, dass sie das Angebotsspektrum in der Kita erweitern. Es wird gebastelt, aber auch handfest gewerkelt. Viele Spiele, die sie den Kindern anbieten sind in ihrer Wahrnehmung herausfordernder und körperbetonter.
GS: Da geht es um Raufen, Toben, Klettern. In der Kita spielen auch die Erzieherinnen mit den Kindern schon mal Fußball. Aber wenn ein Erzieher dazukommt, geht es schneller mal  um Regeln, Tore. Es gibt eine Strafbank.

Wie kommen Erzieher bei den Eltern an?
GS: Gut. Gerade bei Vätern. Die haben auch einen Mann als Gegenüber.
JH: Die Eltern wollen, dass die Kinder auch männliche Vorbilder vor Augen haben. Da schlummert allerdings auch ein Problem.

Nämlich?
JH: Die Erzieher sollen gelingende Rollenbilder vorleben. Und viele von ihnen fragen sich: Wie sollen die genau und konkret aussehen?
GS: Dafür gibt es ja eure Tagungen.
JH: Danke fürs Stichwort (lacht). Die jährlichen Fach-Tagungen für männliche Erzieher aus Rheinland und Westfalen stoßen genau in diese Lücke. Die Männerarbeit hat Erfahrung mit Männlichkeitsbildern. Das Interesse ist groß, wir haben mehr Nachfragen, als wir Plätze anbieten können. In Kooperation mit der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum veranstalten wir zudem eine Fortbildung für Männer, die auf Grundlage der Familienbildung und mit unserer Unterstützung Vater-Kind Angebote entwickeln möchten. Riesen Zuspruch! Vernetzung, Austausch, Unterstützung – das ist wichtig. Und kommt richtig gut an.

Wie sehen Erzieher sich selbst?
JH: Sie wollen als Männer keine Exoten sein, sondern Teil des Teams. Sie bringen Eigenes ein, aber nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung. Im Sinne einer größeren Vielfalt.
GS: Sie wollen nicht auf ihr Geschlecht reduziert werden. Beispiel Tische schleppen, Löcher bohren: Das machen Erzieherinnen ganz selbstverständlich. Solange, bis ein Mann als Kollege auftaucht. Dann soll der das tun.
JH: Es geht nicht darum, dass der Mann das nicht übernehmen dürfte …
GS: … aber man sollte es reflektieren, damit nicht auch hier wieder unbemerkt Rollenbilder weitergegeben werden.
 
Gibt es Männer als Kita-Leiter?
GS: Einen im Kirchenkreis Recklinghausen, ab Sommer zwei. Das ist tatsächlich für uns etwas Neues.

Stichwort KiBiz. Welche Rolle spielt das Kinderbildungsgesetz bei der aktuellen Personallage?
GS: KiBiz MUSS geändert werden. Daran führt kein Weg vorbei. Die Kitas sind durch KiBiz völlig unterfinanziert. KiBiz schafft Rahmenbedingungen, die einfach nicht attraktiv genug sind. So können wir nicht genügend gute Leute im Beruf der Erzieherin, des Erziehers halten.
JH: Das Problem ist, dass der Personalschlüssel für eine Kita darüber festgelegt wird, wieviel Stunden die Eltern buchen. Wenn die Eltern ihre Entscheidung im Laufe des Jahres ändern – weil sie feststellen, dass ihre Kinder mehr Betreuung brauchen oder auch weniger –, dann muss die Kita auch dementsprechend mehr Stunden Betreuung anbieten oder Betreuung kürzen.
GS: Sie können aber nicht ihrer Erzieherin einfach sagen: Jetzt bleib mal zuhause. Und nächsten Monat machst du fünf Stunden mehr. Und ob du demnächst mit einer halben oder vollen Stelle angestellt wirst, kann ich dir jetzt noch gar nicht sagen. Zu solchen Bedingungen will doch auf Dauer keiner arbeiten.

Was also tun?
GS: Wir haben jetzt begonnen, trotz der Unwägbarkeit die Arbeitsverträge zu entfristen. Wir wollen den Erzieherinnen und Erziehern eine größere Job-Sicherheit geben. Nur so können wir gute Leute bekommen und halten.
JH: Das volle finanzielle Risiko lastet dabei auf dem Träger – der Kirche. Das kann auf Dauer keine Lösung sein.
GS: Deshalb, noch einmal: KiBiz muss geändert werden. Nicht bei den pädagogischen Inhalten. Die sind hervorragend. Aber bei der Finanzierung.
Da brauchen wir eine neue Bemessungs-Grundlage. Die Zuschüsse dürfen nicht allein vom den gebuchten Stunden abhängig sein, es muss eine Gruppenpauschale dazukommen.
JH: Außerdem müssen die Gehaltssteigerungen aus dem Tarifvertrag ausreichend berücksichtigt werden. Und es muss wieder möglich sein, dass eine Kita Rücklagen bildet, damit sie ein Polster für die Schwankungen hat.
GS: Und, ganz wichtig: Für eine Kita-Leitung muss ausreichend Freistellungszeit eingerechnet werden. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung geht von 20 Stunden verpflichtend für jede Kita pro Woche aus. Das kommt bislang bei KiBiz gar nicht vor, es gibt lediglich Empfehlungen, aber wenn das Geld nicht reicht, wird an freiwilligen Leistungen gekürzt.

Jürgen Haas, Referent für Familienbildung und Familienpolitik im Fachbereich Männer, Familie, Ehrenamt des Instituts für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Gudrun Seime, Geschäftsführerin des Verbundes der Tageseinrichtungen für Kinder im Evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen.