Gabriela Bosche berät bei der Anlaufstelle für Straffällige der Diakonie in Oldenburg auch die Angehörigen von Tätern. Zumeist sind es Frauen, deren Probleme öffentlich noch zu wenig wahrgenommen würden, sagt die Sozialpädagogin im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dabei müssten sie neben finanziellen Sorgen auch mit dem Druck leben, sich für Taten rechtfertigen zu müssen, die sie nicht begangen hätten.
epd: Frau Bosche, es wird gesagt, Angehörige von Straftätern seien oft auch selbst Opfer dieser Taten. Wie sehen Sie das?
Gabriela Bosche: Ich erlebe das oft so. Die Angehörigen stehen zwar nicht vor Gericht und werden nicht wegen der Taten verurteilt, weil sie ja nichts damit zu tun haben. Aber dennoch müssen sie mit den Folgen leben.
epd: Wen trifft das und welche Sorgen liegen obenan?
Bosche: Es sind in der Regel Frauen, Ehefrauen, Lebensgefährtinnen oder auch die Mütter. Diejenigen, die unsere Hilfe suchen, trifft die Inhaftierung oft aus heiterem Himmel. Sie konnten sich gar nicht darauf vorbereiten, dass der Sohn oder der Partner in Haft kommt. Wenn derjenige sich dann obendrein nicht wie vorgesehen zum Haftantritt einfindet, steht möglicherweise auf einmal die Polizei mit Streifenwagen vor der Tür. Das ist ein Schock.
Im schlechtesten Fall, wenn ein Paar zum Beispiel nicht verheiratet ist, erfährt die Frau gar nicht, in welche Haftanstalt der Mann gekommen ist. Aus verständlichen Datenschutzgründen wird zunächst keine Auskunft gegeben. Das ist eine der Situationen, in denen sich Frauen bei mir melden. Ich versuche dann, über meine Kontakte zu helfen. Die ersten Tage sind die schwierigste Zeit. Wo ist er? Was passiert mit den Kindern? Wie kann ich es finanziell schaffen? Die Angehörigen haben sich mit viel mehr auseinanderzusetzen als der Inhaftierte selbst. Für ihn ist in der Anstalt viel besser gesorgt als für sie.
epd: Wie lassen sich finanzielle Sorgen lösen?
Bosche: Je früher Angehörige von einer bevorstehenden Haft erfahren, umso besser können sie sich vorbereiten. Sie wissen dann schon, dass der Verdienst des Mannes wegfällt. Dann können sie zum Beispiel frühzeitig finanzielle Hilfen wie Bürgergeld beantragen.
Die finanziellen Sorgen können existenziell sein, aber die emotionale Situation ist häufig viel belastender. Frauen, die bei mir anrufen, sind aufgewühlt und weinen. Sie haben Sorge um den Partner und die Situation ihrer Kinder. Scham spielt große eine Rolle.
epd: Erzählen die Betroffenen denn, dass der Angehörige im Gefängnis ist?
Bosche: Das ist ganz unterschiedlich. Aber es wird auch verheimlicht – nicht nur in der Nachbarschaft. Das zieht sich durch alle Bereiche, den Familienkreis, Kindergarten, Schule und Arbeitgeber, aus Angst vor einer Stigmatisierung. Sie haben selbst kein Unrecht begangen und müssen sich für die Tat eines anderen erklären. Dem versuchen viele aus dem Weg zu gehen.
epd: Wie erzähle ich denn einem Kind, dass der Vater im Gefängnis ist?
Bosche: Ich tue mich schwer damit, den Müttern eine Empfehlung zu geben. Aber ab einem bestimmten Alter sollten sie den Kindern schon reinen Wein einschenken. Es gibt zum Beispiel ein gutes Buch für Kinder so ab acht Jahren mit dem Titel „Im Gefängnis“. Das hilft auch dabei, Ängste zu nehmen. Problematisch kann es auch sein, wenn sich die Kinder unter Druck sehen, weil sie nicht weitererzählen sollen, wo der Vater gerade ist. Ich habe schon erlebt, dass eine Mutter nicht wollte, dass ihr Kind von der Haft erfährt – aus Sorge, dass es dann von anderen Kindern und Eltern gemieden wird.