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Bemühen um Gemeinsamkeit

Die Stimmung ist entspannt beim Treffen des „Parlaments“ der evangelischen Kirchen in Deutschland. Aber trotz Einigkeit warten große gesellschaftliche Herausforderungen

Norbert Neetz

MAGDEBURG – Luther wacht auch hier über die evangelische Kirche: Wer in diesen Tagen das Maritim-Kongresszentrum in der Innenstadt von Magdeburg betritt, muss an einer zweieinhalb Meter großen Statue des Reformators vorbei. Vier Tage lang tagt hier die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Die Synode trifft bei ihrer jährlichen Zusammenkunft richtungsweisende Entscheidungen. Ihr müssen sich Gremien und Personen verantworten, die die EKD leiten – Kirchenamt (Verwaltung) und Rat, mit dem Vorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm und der westfälischen Präses Annette Kurschus als Stellvertreterin.
Es herrscht entspannte Stimmung. Die Finanzen sind besser als befürchtet. Die beiden Hauptthemen, Absage an die Judenmission (Artikel unten) und Solidarität in Europa, werden ohne Streit diskutiert; man spürt das Bemühen der Synodalen, Lösungen zu finden, die alle mittragen können.

Gute Konjunktur lässt Einnahmen steigen

Die gute Konjunktur lässt die Steuereinnahmen der evangelischen Kirche weiter steigen. 2015 haben sie sich  im Vergleich zum Vorjahr um 5,2 Prozent auf 5,4 Milliarden Euro erhöht. Die Zahl der Mitglieder ist allerdings weiter gesunken, 2015 um rund 360 000 auf etwa 23,3 Millionen. Dennoch sei bei den Erträgen aus der Kirchensteuer auch für das nächste Jahr von einer „stetigen positiven Situation“ auszugehen, so Ratsmitglied Andreas Barner bei der Einbringung des Haushaltsgesetzes für 2017. Langfristig werde das jedoch nicht so bleiben.
Der Haushalt der EKD für 2017, der sich hauptsächlich aus Umlagen der 20 Landeskirchen speist, hat einen Umfang von 215,9 Millionen Euro. Der Zuwachs um rund 8,7 Prozent erklärt sich vor allem mit den Feiern zum 500. Reformationsjubiläum. So erhält allein der Verein „Reformationsjubiläum 2017“, der für die Organisation mehrerer Großveranstaltungen zuständig ist, neun Millionen Euro.
Deutlich wird die Synode beim Thema „Solidarität in Europa“: „Es gibt keine Alternative dazu“, so Synodenmitglied Matthias Rogg. Der Oberst der Bundeswehr war maßgeblich an den Vorbereitungen zum Thema beteiligt.

Nachdenken über Europa auch in der Kirche

Wie aus einer bei der Tagung vorgestellten Umfrage hervorgeht, hat die Europäische Union (EU) bei den Menschen in Deutschland aktuell ein schlechtes Image. „Das Problem Europas ist, dass nicht alle mitgenommen werden. Es bleiben zu viele auf der Strecke“, sagte der Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, Gerhard Wegner. Für die repräsentative Studie hatte sein Institut 2013 Frauen und Männer ab 14 Jahren befragt. Demnach halten es 87 Prozent für wünschenswert, wenn sich die Staatengemeinschaft stärker dem Kampf gegen Armut und soziale Ungleichheit zuwendet.
Von der Spannung in der Gesellschaft profitieren vor allem extreme Parteien. Weltweit würden rechtspopulistische Bewegungen Ängste schüren, das politische Klima vergiften und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden, so der Ratsvorsitzender Bedford-Strohm. „Wir müssen klare Kante zeigen gegenüber allen Versuchen, völkisches Gedankengut und rechtsextremistische Kampfrhetorik in unserem Land wieder salonfähig zu machen.“
Da wartet eine große Herausforderung. Denn so sehr sich die Kirchenleitenden einig sein mögen – rechtspopulistische Tendenzen sind verbreitet, auch in der Kirche (Seite 2). Die Synode setzt zu Recht auf Fakten, Vernunft und Argumente.
Was aber, wenn sich immer mehr Menschen den Fakten verweigern und in einer gefühlten Welt aus Enttäuschung, Wut und Hass verbarrikadieren? Da steht die evangelische Kirche in den Überlegungen noch am Anfang. Aber sie hat sich mutig auf den Weg begeben.