Unberührte Natur ist eher nicht das Markenzeichen der pfälzischen Gemeinde Lambsheim rund zehn Kilometer westlich von Ludwigshafen. Und doch hat sich ausgerechnet hier, zwischen Schnellstraßen, Hochspannungsleitungen und endlosen Gemüsefeldern im ansonsten unscheinbaren Floßbach eine Biberfamilie angesiedelt. Das größte Nagetier des Kontinents erobert sich überall in der Bundesrepublik ehemalige Lebensräume zurück – nicht immer zur Freude aller.
„Inzwischen haben wir flächendeckend mit dem Biber zu tun“, sagt Stefanie Venske, die Leiterin des rheinland-pfälzischen Bibermanagements. Die Mitarbeiterin der Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz (GNOR) koordiniert im Auftrag der Mainzer Landesregierung ein Netzwerk ehrenamtlicher „Biberbetreuer“ und vermittelt in Konfliktfällen, so wie in Lambsheim. Denn hier sorgt der Nager für allerlei Probleme. Bereits mehrere „Bibergipfel“ wurden wegen der Situation entlang des örtlichen Floßbachs einberufen.
Konkret sorgen die Biberdämme nämlich dafür, dass ein eigentlich für den Hochwasserschutz gedachtes Regenrückhaltebecken neuerdings ständig unter Wasser steht und sich das Wasser in den Bächen der Umgebung zurückstaut. Nach jedem heftigen Regen erhalte er inzwischen Anrufe besorgter Anlieger, die fürchteten, dass ihre Keller wegen des Bibers volllaufen, berichtet Hans-Peter Theiß, Verbandsgeschäftsführer des örtlichen Gewässerzweckverbands. Und mehr noch: „Die Böschungen weichen auf und werden unterspült.“ Erst kürzlich musste zudem eine Umgehungsstraße vorübergehend für den Verkehr gesperrt werden, weil ein vom Biber angenagter Baum auf die Fahrbahn zu krachen drohte.
Der Europäische Biber (Castor fiber) war bis auf eine kleine Restpopulation an der Elbe bereits in ganz Deutschland ausgerottet – nach jahrhundertlanger erbarmungsloser Bejagung. Begehrt waren die bis zu 30 Kilogramm schweren Tiere wegen ihres dichten Pelzes, aber auch als Fleischlieferanten. Historische Rezepte-Sammlungen hätten so skurril anmutende Kochvorschläge wie „Biberkelle in Rotweinsoße“ enthalten, berichtet Biberexpertin Venske. Besonders fatale Folgen für die scheuen Wasserbewohner habe das Kirchenrecht entwickelt: Biber galten demnach lange als Fische und landeten auch in der Fastenzeit auf den Teller.
Seit die Tiere streng geschützt sind und mehrere Bundesländer, darunter Hessen und das Saarland, Auswilderungsprogramme gestartet hatten, breiten sie sich wieder entlang der deutschen Flüsse aus. „Der Rhein ist wie eine Biberautobahn“, sagt Venske. Auf der Suche nach neuen Revieren könnten Biber aber auch mehrere Kilometer an Land zurücklegen.
Nirgendwo in der Republik haben sich die Nagetiere jedoch so stark ausgebreitet wie in Bayern. Das Münchner Staatsministerium für Umwelt beziffert den dortigen Bestand auf mittlerweile rund 22.000 Exemplare. Dort zahlt das Land inzwischen auf freiwilliger Basis Entschädigungen, wenn Biber die Äcker von Bauern überfluten oder Bäume in Obst- oder Weihnachtsbaumplantagen fällen.
In Rheinland-Pfalz, wo die Population mit rund 1.000 Tieren noch vergleichsweise klein ist, sind solche Zahlungen bislang nicht angedacht. „Biberbetreuer“ wie Ewald Marx werben dafür, auch die Vorteile zu sehen, die Rückkehr der Pelztiere mit sich bringe. Flussabwärts von Lambsheim hätten die Biber zwar „ohne Baugenehmigung, aber instinktiv an genau der richtigen Stelle“ das Wasser gestaut: „Ein tolles Biotop ist entstanden, mit Amphibien, Graureihern, Störchen und Eisvögeln.“ Auch der Grundwasserspiegel habe sich erholt, seit das Wasser nicht mehr so schnell abfließe.
„Mit dem Biber kann man leben“, appelliert Marx an Landwirte und Behördenvertreter. Auch Hans-Peter Theiß vom Gewässerzweckverband hat sich auf eine Koexistenz mit dem Biber eingestellt – und auf eine „biberkonforme Planung“ künftiger Baumaßnahmen.