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Ausstellung über Kloster Corvey als kultureller ThinkTank

Woher weiß man von der Schlacht im Teutoburger Wald? Wie lernten Analphabeten im mittelalterlichen Westfalen schreiben? Und was macht Odysseus in einer Kirche? Antworten dazu bietet eine Ausstellung in Paderborn.

Erst bekämpfte Karl der Große um das Jahr 800 jahrzehntelang die Sachsen. Dann gründete sein Sohn Ludwig der Fromme vor 1.200 Jahren mitten unter diesen “Barbaren” ein Zentrum für Kultur, Wissen und Kunsthandwerk: Kloster Corvey bei Höxter an der Weser. Welche Rolle und Wirkung dieser mittelalterliche Think-Tank hatte, beleuchtet ab Samstag eine große angelegte Ausstellung im Diözesanmuseum Paderborn. “Corvey und das Erbe der Antike”, so der Titel, zeigt dazu teils einzigartige Leihgaben aus Italien, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland.

Es sei faszinierend zu sehen, wie im 9. und 10. Jahrhundert die Sprösslinge sächsischer Adliger in Corvey Wissen und Kultur der griechisch-römischen Antike aufsogen und sich aneigneten, schwärmt Ausstellungskuratorin Christiane Ruhmann im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Benediktinermönche der damaligen “kulturellen Boom-Ära” hätten das auf ihre eigene Art getan – und so wesentlich mit geprägt, was bis heute aus der Antike überliefert ist.

Damit die Mönche richtiges Latein lernen konnten, besaß das Kloster unter anderem eine Pergament-Handschrift der Annalen des römischen Geschichtsschreibers Tacitus (58-120 n. Chr.). Jahrhundertelang war sie das weltweit einzige Exemplar. Hätte Corvey es nicht aufbewahrt, wüsste die Nachwelt nicht, dass der römische Feldherr Varus seine vernichtende Niederlage gegen Arminius am Teutoburger Wald erlitten hatte. Das steht nur bei Tacitus. Viel später entführten die Medici die Handschrift nach Florenz, wo die “Annalen” auch gedruckt wurden – und von wo das Pergament als Leihgabe zurück nach Paderborn gekommen ist.

In einer lateinischen Abschrift des Lukas-Evangeliums haben sächsische Mönche in zierlicher Handschrift notiert, wie einzelne Begriffe in ihre Sprache zu übersetzen wären. “Wir wissen schlicht kaum etwas über Sprache, Weltbild oder Moral der Sachsen”, sagt Ruhmann. Die “Saxones”, wie die damaligen Bewohner zwischen Rhein und Elbe von den Karolingern abfällig genannt wurden, hatten keine Schriftkultur.

Nur eine damalige Taufformel überliefert in lateinischen Buchstaben einzelne Wörter: “Ec forsacho diabolae” – “ich widersage dem Teufel”, antwortete der Täufling auf die Frage des Priesters. Der heutige Besucher erkennt das niederdeutsche “ick”, das englische “forsake” und das lateinische “diabolus”. Doch kulturlos waren die Sachsen keineswegs. Das Schriftbild einer für Corvey aus Sollinger Sandstein gehauenen Inschrift braucht keinen Vergleich mit römischen Triumphbögen zu scheuen.

Zur Ausstellung gehören auch Reste eines Glockengusses aus dem 8. Jahrhundert bei Dülmen im Münsterland, das älteste Zeugnis einer Glocke nördlich der Alpen. Hatten die Sachsen schon vor der karolingischen Eroberung Glocken, gar Kirchen? Produzierten Handwerker entlang der alten Handelsstraße des Westfälischen Hellwegs Glocken für Kirchen und Klöster im Frankenreich? Eine von mehreren Fragen, welche die Ausstellung anreißt, aber nicht beantworten kann.

Dafür widerlegt sie das Klischee, mittelalterliche Mönche hätten nach der Art von Fundamentalisten das heidnische Erbe der Antike “gecancelt”. An einer Wand in der früheren Klosterkirche in Corvey sind Reste eines Freskos zu sehen: Odysseus vor dem Seeungeheuer Skylla. Was sollte Homers griechische Sage dem sächsischen Christen im Mittelalter sagen? Eine Projektion in der Paderborner Ausstellung zeichnet den Unterschied heraus: Bei Homer umsegelt Odysseus mit dem Schiff die Männer mordende, Schiffe versenkende Skylla. In Corvey rammt er ihr eine Lanze in den Leib – ganz wie der Erzengel Michael und der heilige Georg einem Drachen, wie Skylla Symbolfigur des Bösen.

Ein dritter Teil der Schau zeigt goldene, mit Edelsteinen und Buntglas besetzte Taschen, sogenannte Reliquienbursen, und Gewandspangen (Fibeln). Sie beleuchten das einstige Kloster als Ort des Kunsthandwerk-Transfers. Und sind ein weiterer Grund dafür, warum Corvey vor zehn Jahren in das Unesco-Welterbe aufgenommen wurde. Dieses kleine Jubiläum und das im vergangenen Jahr begangene große von 1.200 Jahren Kloster Corvey sind denn auch der Anlass für die Ausstellung, die bis zum 26. Januar zu sehen ist.