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Auschwitz-Gedenken: Verantwortung der Folge-Generationen angemahnt

80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz hat die Theologin Margot Käßmann dazu aufgefordert, Lehren aus der Geschichte anzuwenden und Verantwortung zu übernehmen. „Wir kennen die Fakten, wir wissen, was geschehen ist und wir sind aufgefordert, Konsequenzen zu ziehen“, betonte sie am Sonntag in der Christuskirche in Hannover.

In einer Matinee erinnerten die hannoversche Landeskirche, die Friedrich-Ebert-Stiftung, Gewerkschaften und Bildungsträger an die Befreiung des Vernichtungslagers, in dem mindestens 1,1 Millionen Männer, Frauen und Kinder ermordet wurden. Redner waren dabei auch der hannoversche Rabbiner Gabor Lengyel und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Käßmann sagte laut Manuskript, als 1958 geborene Deutsche gehe es für sie nicht um Schuld. Wichtig sei der bewusste Umgang mit der Vergangenheit und mit dem „Gepäck“, das Eltern und Großeltern hinterlassen hätten.

Sie erinnerte an ihre Schule. Erst spät sei bekannt geworden, dass es dort bis 1938 natürlich auch jüdische Schülerinnen gegeben habe. Die meisten von ihnen seien deportiert und ermordet worden. „So bin ich aufgewachsen unter einer Glocke des Schweigens und der Schuld.“

Angesichts des Erstarkens rechtspopulistischer Parteien sei es nicht möglich, sich beruhigt zurückzulehnen, sagte die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). „Es wird so gern und locker dahergesagt: ‘Nie wieder ist jetzt!’ Aber ich denke, das wird gar nicht ernst genug genommen.“ Die Lektion müsse sein, nicht zu schweigen und sich nicht wegzuducken.

Der frühere israelische Soldat, Reservist und heutige Rabbiner Lengyel sprach sich dafür aus, an den Gedenktagen nicht nur an die Opfer der Shoah zu erinnern, „sondern auch an das Heldentum und den Widerstand der jüdischen Untergrundkämpfer“, sagte er laut Redemanuskript.

Lengyel warnte davor, die Erinnerung an den Holocaust mit anderen Verbrechen, wie beispielsweise den Kolonialverbrechen, gleichzustellen. Dies führe „auf vielen Demonstrationen bereits zu einer Relativierung der deutschen Schuld“. Die besonderen ideologischen Grundlagen des Antisemitismus würden aus dem Bewusstsein verdrängt und Begriffe wie Genozid und Vernichtung auf Israel übertragen.

Die Lehre aus der Shoah laute für Jüdinnen und Juden: „Nie wieder Auschwitz!“ unterstrich Lengyel. Das Problem sei jedoch, dass viele Menschen im Land nicht direkt betroffen seien. „Es ist doch so: Wenn morgen die AfD regiert, dann müssen sich viele Menschen kaum Sorgen machen, weil sie Weiße und Deutsche sind. Was für einen Grund sollte es für diese Leute geben, für ein “nie wieder ist jetzt„ einzutreten?“.

Das Böse und der Hass gingen nicht allein von Diktatoren und Rassisten aus. Der Verlust von Demokratie werde „von den Schweigenden, von den Leisen, von den Gefühllosen ermöglicht“, mahnte Lengyel: „Hass und Ausgrenzung werden möglich durch jene, die zuschauen, die tatenlos danebenstehen.“