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Aus Liebe. Und Dankbarkeit

Vor 25 Jahren fanden die ersten freien Wahlen statt. Die sozialen Probleme aber sind nach wie vor gigantisch. Erwarteter Sieger am 8. Mai ist der ANC. Aber ist er noch die Partei Mandelas?

KAPSTADT – „Wenn Nelson Mandela vom Himmel aus sehen könnte, was aus seiner Partei geworden ist, er wäre sicher sehr ärgerlich“, sagt Michael Gable. Dieser ANC, der Südafrika seit 25 Jahren regiert, sei schon längst nicht mehr die Partei des Nationalhelden, der vor einem Vierteljahrhundert das Land aus der Apartheid in eine Demokratie führte. Für dieses Lebensziel hatte er zuvor insgesamt 27 Jahre hinter Gittern verbracht.

Gable, in Kapstadt lebender Südafrikaner mit deutschem Vater und schottischer Mutter, ist Reiseleiter. Wenn der 55-Jährige deutsche Gruppen durch das Land führt, kommt immer auch die Frage nach den politischen Verhältnissen auf. Nicht nur in diesen Tagen, in denen der ersten demokratischen Wahlen vor einem Vierteljahrhundert gedacht wird. Sie hatten den Weg frei gemacht für Mandela als ersten schwarzen Präsdenten des Landes. Unübersehbar für die Gäste sind auch die zahlreichen Wahlplakate an den Straßenrändern, mit denen die Parteien derzeit um Stimmen werben. Am 8. Mai finden die Wahlen zur Nationalversammlung und zu den neuen Provinzversammlungen statt.

Ein reiches Land, von der Natur begünstigt

Aber auch ohne diese aktuellen Hinweise: Ausländische Touristen können gar nicht die Augen davor verschließen, dass dieses eigentlich eigentlich so reiche, wunderschöne und von der Natur begünstigte Land jede Menge Probleme hat. Man muss nur von Kapstadt aus gen Osten fahren –  dann passiert man die riesigen Townships, an denen augenfällig wird, dass Südafrika eines der Länder mit der größten sozialen Ungleichheit ist. Immer noch. 25 Jahre nach Ende der Apartheid. Zumal, wenn man zuvor in Kapstadt an den abgeschirmten und bewachten Siedlungen der Weißen vorbeigefahren ist. Oder an den schicken Häusern in der City, die fast sämtlich mit (Stacheldraht-)Zaun und Alarmanlage gesichert sind.

Townships – das sind die Ansiedlungen, in die man während der Zeit der Apartheid die schwarze, farbige oder asiatische Bevölkerung verbannt hatte. Jede Stadt in Südafrika hat ihre Townships, die zum Teil Flächen riesigen Ausmaßes einnehmen, denn hier lebt immer noch ein großer Teil der nicht-weißen Bevölkerung. Und das ist die deutliche Mehrheit in Südafrika. Von den etwa 56 Millionen Einwohnern sind knapp 80 Prozent Schwarze verschiedener afrikanischer Volksgruppen, knapp 9 Prozent Farbige unterschiedlicher ethnischer Abstammung, 2,5 Prozent Asiaten und lediglich etwa 9 Prozent Weiße. Diese Unterscheidungen stammen aus der Zeit der Apartheid, werden aber, auch für statistische Zwecke, weiterhin verwendet.

Freilich: Townships sind nicht gleichzusetzen mit Slums. Das Spektrum der Bebauung ist weit. Es reicht von Wellblechhütten bis hin zu quasi bürgerlich zu nennenden Steinhäusern mit Toiletten, Wasser und Strom. Bei geführten Township-Touren können sich Touristen ein Bild machen von der Lebenssituation der Menschen. Und dabei wird deutlich: Es gibt neben großer Armut auch Aufbrüche. Weil einzelne Menschen durch handwerkliches oder kaufmännisches Geschick einen sozialen Aufstieg schaffen. Und/oder weil der Staat durch die Finanzierung so genannter Mandela-Häuser das Leben in den Townships aufwertet. Zwei kleine Zimmer, eine Küche, ein Wohnraum, Wasser und Strom – bescheiden, aber würdig. Der Haken allerdings: 15 Jahre, so heißt es, sei die Wartezeit auf so ein Haus.

Ein anderes – auch für ausländische Gäste sichtbares – Problem ist die Arbeitslosigkeit, die bei deutlich über 20 Prozent liegt. Auf einen Job wartende Tagelöhner an Straßenecken, Schattenwirtschaft in Form von kleinen Geschäften an Ampelkreuzungen, der Verkauf von Altkleidern am Straßenrand – das alles sind Symptome für dieses Problem. Und ja: Am Rande der großen Townships sieht man auch Menschen im Müll nach Verwertbarem suchen.

Bei den Wahlen am 8. Mai geht es also auch darum: Welcher Partei trauen die Menschen am ehesten zu, die Nachwirkungen der Apartheid – große Armut und mangelnde Chancengleichheit – zu besiegen? Denn klar ist: Die Menschen der Regenbogennation sind zwar seit 25 Jahren politisch gleichgestellt, wirtschaftlich klaffen noch tiefe Risse in der Gesellschaft.

Wie die beseitigt werden können? In dieser Frage gibt es unterschiedliche Konzepte der Parteien: Neben der Regierungspartei ANC, die bei der letzten Wahl zur Nationalversammlung etwa 62 Prozent der Stimmen erzielen konnte, ist die „Democratic Alliance“, die „Demokratische Allianz“, mit zuletzt etwa 22 Prozent der Stimmen die größte Oppositionspartei. Sie hat eine liberal-bürgerliche Ausrichtung und setzt auf wirtschaftliche Kräfte, um das Land voranzubringen. Dabei sieht sie sich heute als Vertreterin aller Südafrikaner, egal welcher Hautfarbe.

Enteignungen könnten Versorgung gefährden

Eine links-radikale Position vertritt die Partei von Julius Malema, die Economic Freedom Fighters (EFF; deutsch etwa: Kämpfer für wirtschaftliche Freiheit). Sie befürwortet unter anderem die entschädigungslose Enteignung weißer Farmer. Damit treibt die bis jetzt noch kleine Partei auch den ANC vor sich her, sagt Gable. Für diese Position gebe es auch in der Partei Mandelas Unterstützer. Andere jedoch warnen: Ein solcher Schritt könnte die Lebensmittelversorgung im Land gefährden.
Den aktuellen ANC-Vorsitzenden und Präsidenten Südafrikas, Cyril Ramaphosa, zählt Michael Gable zu den „vernünftigen“, das heißt gemäßigten Kräften der Partei. Als Unternehmer wisse Ramaphosa, welche Folgen eine Enteignung haben könne. Außerdem hätten entsprechende Erfahrungen in Simbabwe gezeigt, wohin das führt. In dem Land wurden seit dem Jahr 2000  Tausende weiße Farmer enteignet. Seither liegen große landwirtschaftliche Flächen brach und das Land ruft vertriebene Farmer wieder zurück.

Brachflächen gibt es auch schon in Südafrika. Nämlich dort, wo weiße Farmer das Land aus Angst vor möglicher Enteignung verlassen haben. Manche von ihnen haben noch Verbindungen zu den Ländern ihrer Vorfahren und noch eine zweite (niederländische oder britische) Staatsbürgerschaft, die einen Wechsel erleichtert. Andere zieht es nach Australien, Neuseeland oder in die USA.
„Wir werden weniger“, sagt Gable im Blick auf die weiße Bevölkerung in Südafrika. Und ein wenig Resignation klingt dabei  mit in seiner Stimme. Andererseits sagt er auch, er persönlich fühle sich nicht bedroht. Auch, weil er davon ausgeht, dass die Malema-Partei nicht den Sieg erringen wird.
Das Rennen werde wohl, so Gable, wieder der ANC machen.  Trotz der Korruptionsaffären, der persönlichen Bereicherung und Vetternwirtschaft unter und um den ehemaligen Parteichef Jacob Zuma. „Die Menschen lieben den ANC noch immer und sind ihm dankbar , weil er ihnen das Ende der Apartheid gebracht hat.“