Beim traditionellen multireligiösen Gottesdienst am Vorabend des Christopher Street Day am 26. Juli in der Berliner St. Marienkirche wird in diesem Jahr die renommierte Schriftstellerin Nora Bossong die Predigt halten. Bossong, die als freie Autorin in Berlin lebt und sich regelmäßig zu gesellschaftspolitischen Themen äußert, wurde bereits mehrfach mit Auszeichnungen wie dem Thomas-Mann-Preis, dem Joseph-Breitbach-Preis geehrt. In einem kurzen Interview mit Joana Lewandowski berichtet sie über die ungewöhnliche Aufgabe am Wochenende.
Liebe Frau Bossong, wie bereiten Sie sich als Autorin und nicht als Pastorin auf eine Predigt am Vorabend des CSD in der Marienkirche vor, und wie kam es überhaupt dazu, dass Sie auf der Kanzel stehen?
Nora Bossong: Ein Freund hatte mich vor einiger Zeit gefragt, ob ich mir so eine Predigt vorstellen könnte. Da ich mich ohnehin viel mit Glaube und Theologie beschäftige, war das gar nicht so abwegig. Und ähnlich wie eine Pastorin habe ich ja beruflich auch mit Sprache und mit gründlichem Lesen zu tun. Meine Predigt werde ich auf die Verse aus dem Evangelium aufbauen, die wir im Gottesdienst hören, Johannes 15,15 steht im Mittelpunkt für mich: „Vielmehr habe ich euch Freunde genannt”. Das ist für mich ein Fest der Freundschaft – kein ausschließlich queeres Thema, aber eines, in dem wir unsere Beziehungen, in denen wir lieben und leben, reflektieren können.
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Ihre Predigt beim multireligiösen Gottesdienst am Vorabend des CSD wurde von Superintendentin Silke Radosh-Hinder als große Bereicherung bezeichnet. Welche zentrale Botschaft wollen Sie den Teilnehmenden vermitteln?
Dass wir in liebenden Beziehungen wie etwa der Freundschaft oder der romantischen Paarbeziehung uns einander öffnen und dadurch auch uns selbst erst wirklich finden. Dass wir dadurch viel stärker sind als im Hass, aber dass niemand von uns davor gefeit ist, auch selbst einmal Hass zu empfinden. Das zu ignorieren halte ich für problematisch, weil wir uns dann nicht dazu verhalten können und uns womöglich selbst in Hassspiralen treiben lassen, ohne es zu merken.
Am Samstag wird die Evangelische Kirche mit einem eigenen Truck auf dem CSD Berlin Pride vertreten sein. Wie sehen Sie die Rolle der Kirche in der heutigen LGBTQIA+-Bewegung, und was kann und sollte die Kirche Ihrer Meinung nachtun, damit queere Menschen sich in dieser Gemeinschaft sicher und wohlfühlen?
Was ihre Rolle heute ist? In jedem Fall machtvoll, im positiven wie negativen Sinn. Was sie tun sollte: Das leben, was wir bei Johannes 15, 12 hören: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“
Was möchten Sie queeren Menschen innerhalb der Kirche mitgeben?
Hört auf euer Herz.