Im Dezember hat in Hamburg die EKD-weite Tagung „Genderwahn – Gendergaga – Genderismus“ stattgefunden. Das Thema greift Schlagworte auf, mit denen Genderkonzepte zunehmend angegriffen und in Frage gestellt werden. Ruth Heß, theologische Referentin am Evangelischen Zentrum Frauen und Männer in Hannover, hat auf der Tagung einen Vortrag zum Thema gehalten. Mit ihr sprach Nicole Richter, Fachbereichsleiterin des Frauenreferats der Evangelischen Kirche von Westfalen im Institut für Kirche und Gesellschaft.
Vorab gefragt: Was verstehen Sie unter „Gender“?
Das ist schnell gesagt: „Gender“ ist ein englischer Fachbegriff und bedeutet Geschlechtlichkeit. Seit ungefähr 25 Jahren benutzen wir das Wort auch im Deutschen. Im Kern geht es darum, unser Geschlecht mit seinen vielen Facetten so genau wie möglich zu verstehen: Körper, Identität, Rollenmuster, Sexualität, Kinderkriegen, Elternsein… Neben dieser eher theoretischen hat „Gender“ auch eine praktisch-politische Seite. Da geht es dann um Gerechtigkeit für alle Geschlechter und um Vielfalt, dass Menschen ihr Leben so gestalten können, wie es ihnen entspricht.
Und was ist dann „Genderismus“?
„Genderismus“ ist ein Kampfbegriff, mit dem rechtspopulistische Kräfte seit einiger Zeit aggressiv gegen eine offene Geschlechterpolitik zu Felde ziehen. Sie wollen zurück in die 50er Jahre, zu einem starren Bild vom Mann- und Frausein und von Familie. Andere Lebensentwürfe, die da nicht reinpassen, sollen wieder zurückgedrängt werden.
Dafür eine Mehrheit zu organisieren, ist aber gar nicht mehr so einfach. Denn die allermeisten Menschen profitieren ja von unserer liberalen Gesellschaft. Daher ihr Trick, „Gender“ vom Fachbegriff zum Stigmawort zu machen und als Unsinn oder Gefahr darzustellen. Denn dann können sie sämtliche emanzipatorischen Anliegen, die irgendwie mit „Gender“ verbunden sind – von der Frauenförderung bis zur Schulaufklärung über vielfältige Lebensformen –, mit einem Streich über den Haufen werfen, ohne sie überhaupt noch diskutieren zu müssen. All das hat mit „Gender“ als seriösem Konzept nichts zu tun.
Welche Gefahr sehen Sie in der Anti-Gender-Bewegung? Was zeichnet sie aus?
Der Zauber ist nicht ganz leicht zu durchschauen, auch dadurch, dass die Akteurinnen und Akteure ihre absurden Behauptungen so lange wiederholen, bis sie quasi ein Eigenleben entwickeln. Und Anti-Gender ist längst kein Nischenphänomen mehr. Da verbünden sich ganz verschiedene Kräfte miteinander – von AfD und PEGIDA über einzelne Naturwissenschaftler, christlich-fundamentalistische Kreise bis hinein in deutsche Qualitätsmedien.
Das breite Spektrum macht es möglich, das Feindbild „Gender“ an unterschiedlichste Zielgruppen heranzutragen – vom Feuilleton-Publikum über den bibeltreuen Christen bis zur Protestwählerin. Sie alle werden in ihrer Sprache bedient.
Wie können kirchliche Stellen sich gegen Hassattacken wappnen?
Bis auf Weiteres müssen wir wohl einkalkulieren, dass solche Attacken bei bestimmten Themen vorprogrammiert sind. Allen voran bei Geschlechtlichkeit und Sexualität. Denn da geht es für viele Menschen offenbar ums Eingemachte. Und das lässt sich gut für Polarisierungen nutzen.
Im Vorfeld einer Stellungnahme oder Kampagne zu einem Reizthema macht es daher Sinn zu überlegen: Was könnte besonders starke Widerstände auslösen? Lassen sie sich vermeiden, zum Beispiel durch einen unaufgeregteren Tonfall. Entscheidend ist dabei aber, in der Sache ganz klar zu bleiben.
Wenn bereits ein Shitstorm anrollt, sollten die zuständigen Fachstellen – Gleichstellung, Frauen- und Männerarbeiten – informiert werden, um eine abgestimmte Strategie zu entwickeln. Da braucht es zum Beispiel eine Entscheidung, auf welche E-Mails überhaupt reagiert werden soll und, wenn ja, wie und durch wen.
Bloße Beschimpfungen zu beantworten, bringt gar nichts. Aber wenn Menschen Fragen stellen, auch provozierende, kann sich die Mühe einer Antwort durchaus lohnen. Denn nicht alle, die poltern, sind schon total immun gegen Argumente. Wichtig ist auch ein unmissverständliches Bekenntnis der Kirchenleitung zu Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt.
Wie kann man privat den zunehmenden Stammtischparolen begegnen?
Auch da gilt: Raus aus den Reflexen, so schwer das fällt. Weder schweigen oder klein beigeben, noch auf selber Ebene zurückkeilen. Friedenspreisträgerin Caroline Emcke formuliert es so: „Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seine Einladung, sich ihm anzuverwandeln, ausschlägt.“ Entscheidend ist die eigene innere Haltung. Ich denke da an Paulus: „Lass dich nicht besiegen vom Schlechten, sondern besiege du mit dem Guten das Schlechte“ (Römer 12,21).
Was heißt das konkret?
In einer Auseinandersetzung cool bleiben und die Atmosphäre beruhigen. Anstelle von Schlagabtausch lieber gezielt nachfragen nach der Logik der „Argumente“ und nach ihren Konsequenzen. Das Gegenüber dazu bringen, wilde Behauptungen an konkreten Fakten festzumachen. Sich nicht sinnlos verkämpfen.
• Das Evangelische Zentrum hat eine Aufklärungsbroschüre zum Thema „Genderismus“ herausgegeben. Der Flyer kann kostenfrei bestellt werden unter: www.gender-ismus.evangelisches-zentrum.de.