Dingdong. Harald Mallas drückt auf den Türöffner. „Herzlich willkommen, Alexander“, sagt er. „Kann ich dir was Gutes tun?“ O ja, das kann er. Alexander möchte ein Käsebaguette und Tee. Und ein bisschen plaudern. Dingdong. Schon wieder. Ein Frau diesmal. Auch sie bekommt einen Tee.
„Jetzt um die Mittagszeit ist immer viel los“, erklärt Harald Mallas. Er ist ehrenamtlicher Helfer bei der Bahnhofsmission in Bielefeld. Viele UK-Leserinnen und -Leser kennen den Pfarrer im Ruhestand aus seiner Zeit als Redakteur bei UK. Schon während er noch berufstätig war, hatte er überlegt, dass er sich bei der Bahnhofsmission engagieren möchte.
Käsebrot, Klamotten und Geld für ein Ticket
„Ich mag diesen direkten Kontakt mit den Menschen.“ Vor allem begeistert ihn, dass er es mit ganz unterschiedlichen Menschen zu tun hat. „Alle Bildungsgrade sind vertreten und viele verschiedene Nationalitäten.“ Außerdem fährt Harald Mallas selbst gerne Bahn und mag Bahnhöfe. All die Reisenden mit Koffern, Taschen oder auch kleinem Gepäck. „Mich fasziniert die Atmosphäre. Manchmal überlege ich dann, wer woher kommt oder wohin fährt.“
Im Moment steht ein junger Mann am Tresen. Ohne Gepäck. „Geklaut. Alles weg“, sagt er verzweifelt. Der Österreicher ist auf dem Weg nach Hause, nach Wien. Harald bietet ihm erst einmal etwas zu essen und zu trinken an. Währenddessen ist Josefine Georgi, die Leiterin der Bahnhofsmission, schon dabei, für den Mann die Heimfahrt zu organisieren. Die passende Zugverbindung hat sie bereits. Aber die Fahrt ist teuer. Sie telefoniert mit dem östereichischen Konsulat. Dort sichert ihr ein Verantwortlicher zu, dass sie das Geld für das Bahnticket wieder bekommt. „Alles klar“, sagt sie zu dem Wiener. „Kommen Sie mit, wir kaufen Ihre Fahrkarte und ich bringe Sie zum Gleis.“ Der Mann bedankt sich bei Harald für die Hilfe und verabschiedet sich.
„So was kommt eher selten vor“, sagt Harald Mallas. „Die meisten Menschen, die uns aufsuchen, kommen aus der Umgebung des Bahnhofs.“ Oft sind es Obdachlose oder Hartz-IV-Empfänger, die etwas zu essen und zu trinken möchten. „Dienstags und donnerstags werden wir von der Bielefelder Tafel beliefert“, erzählt Harald. „Da ist dann richtig viel los.“ Im Schnitt kommen täglich zwischen 120 und 140 Menschen in die Bahnhofsmission.
„Manche fragen auch nach Kleidung“, sagt Harald Mallas. „Aber oft geht es einfach darum, mit jemandem zu reden.“ Da entstehen immer wieder intensive Gespräche. „Manche haben viel Schweres erlebt.“ Wenn viel los ist, bleibt allerdings wenig Zeit für Gespräche. Dann sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefordert. Insgesamt engagieren sich über 30 Ehrenamtliche in der Einrichtung im Untergeschoss des Bahnhofes. Dazu kommt die Leiterin, die eine volle Stelle hat, eine Teilzeitkraft und ein „Bufdi“ – Bundesfreiwilligendienstler.
Gäste sollen etwas von „Mission“ erleben
Harald arbeitet zwei Schichten pro Woche. Die Bahnhofsmission hat Montag bis Freitag von 7 bis 19 Uhr geöffnet. „Einmal komme ich um 7 und bleibe bis 13 Uhr, am nächsten Tag habe ich dann die Spätschicht.“ Drei Jahre ist der frühere UK-Redakteur inzwischen dabei. „Es macht mir nach wie vor Freude“, sagt er.
Und es ist nicht seine einzige Beschäftigung im Ruhestand. Ab und zu schreibt er eine Andacht für UK oder andere Publikationen. Gelegentlich hält er auch Gottesdienste. „Aber noch lieber stehe ich hier in der Bahnhofsmission“, sagt er. „Hier ist alles so unmittelbar. Hier zeigt sich, wie ich meinen Glauben praktisch lebe.“
Dass ihm Glaube wichtig ist, zeigt sich auch in seinem Ehrenamt. „Ich habe mich gefragt, wie die Menschen, die zu uns kommen, etwas von ,Mission‘ spüren können.“ Diese Diskussion hat er im Team der Bahnhofsmission angestoßen – mit Konsequenzen. Auf einem Schild am Ausgang ist zu lesen: „Gottes Segen für dich.“ Außerdem gibt es Segenskärtchen. Darauf sind auf einer Seite ein schönes Bild mit Bibelvers oder Segenszuspruch gedruckt. Auf der anderen Seite gibt es Infos zur Bahnhofsmission. „Und natürlich zeigt sich mein Glaube darin, wie ich mit Menschen umgehe“, sagt Harald. „Jeder Mensch ist es wert, dass man ihm freundlich begegnet.“
Die Hauptaufgabe ist die Tätigkeit am Tresen. Anrufe annehmen, Menschen begrüßen, Tee und belegte Brötchen verteilen und Gespräche. Manchmal werden Hilfesuchende auch weitervermittelt zu Beratungsstellen, an das Krankenhaus oder soziale Dienste. „Sie können bei uns auch mal einen Anruf erledigen und etwa einen Termin vereinbaren.“ Kürzlich sei eine Frau da gewesen, die wollte gerne duschen. „Ich habe sie in die Kavalleriestraße geschickt, da gibt es eine Anlaufstelle für Wohnungslose.“ Dort gibt es eine Dusche.
„Rund 30 Prozent meiner Arbeit verbringe ich mit Reisehilfe“, sagt Harald. „Da ruft zum Beispiel eine Frau im Rollstuhl an und sagt, sie möchte nach München“, erklärt er. Seine Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass die Frau in Bielefeld in ihren Zug gebracht wird. Dass ihr in Hannover jemand von der Bahnhofsmission beim Umstieg hilft und sie in München empfangen und zum Taxistand geleitet wird. „So etwas muss angemeldet werden, das braucht Zeit.“
Im Laufe der Jahre hat Harald manche Erlebnisse gehabt. „Einmal kam eine arbeitslose Frau und hat uns um Geld für ein Zugticket nach Osnabrück gebeten“, erzählt er. Sie habe dort ein Vorstellungsgespräch. „Wir haben ihr das Geld gegeben, aber erst mal nichts mehr von ihr gehört.“ Doch nach drei Monaten stand sie eines Tages am Tresen und hat das Geld zurückgebracht. „Freudig hat sie uns erzählt, dass sie den Job bekommen hat.“ Solche Erlebnisse führen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bahnhofsmission zu der Einstellung: „Lieber lassen wir uns mal übers Ohr hauen als jemandem nicht zu helfen, der Hilfe gebraucht hätte“, sagt Leiterin Josefine Georgi.
Seit 125 Jahren gibt es Bahnhofsmissionen
Die Bielefelder Bahnhofsmission hat im Sommer ihr 120-jähriges Bestehen gefeiert. Die erste Bahnhofsmission wurde vor 125 Jahren in Berlin gegründet. „Die Arbeit hat sich verändert, wird aber nach wie vor gebraucht“, ist Harald Mallas überzeugt.
Dingdong. Harald springt auf und begrüßt einen älteren Herrn. Er scheint Stammgast zu sein und möchte ein Käsebrötchen. Das packt er in eine Brotdose, die Harald bewundert. Ein Lächeln huscht über das Gesicht des Mannes und er erzählt, wo er sie her hat. Immer noch lächelnd verlässt er die Bahnhofsmission wieder. „Wenn ich so kleine Glücksmomente bescheren kann, macht mich das selbst glücklich“, sagt Harald.