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Auch deutsche Soldaten bringen per Luftbrücke Hilfsgüter nach Gaza

Mit zwei Fliegern wirft die deutsche Luftwaffe Hilfsgüter über Gaza ab. International sorgt die Luftbrücke für Kritik. Sie lässt die Soldaten nicht kalt. Es überwiegt aber das Gefühl, wenigstens etwas zu helfen.

Mitten in der jordanischen Wüste, zwischen der Hauptstadt Amman und Zarka, liegt das Flugfeld der jordanischen Luftwaffe. Von hier beginnen die Flüge des derzeit prominentesten Bundeswehr-Einsatzes: die Luftbrücke zum Gazastreifen, um dort Hilfsgüter abzusetzen.

Unter jordanischer Leitung und gemeinsam mit weiteren europäischen Ländern starten täglich zwei Bundeswehrmaschinen. Jedes der mächtigen Propellerflugzeuge vom Typ Airbus 400M transportiert 22 Paletten Hilfsgüter, pro Palette bis zu 550 Kilo. Zwei Stunden etwa dauert der Flug von der jordanischen Airbase nach Gaza und zurück; eine Flugstunde kostet 50.000 bis 100.000 Euro. Seit Beginn der Mission hat die Luftwaffe rund 117 Tonnen abgeworfen.

Zu teuer, zu ineffizient, nicht ausreichend für eine Krise dieses Ausmaßes: UN und Hilfsorganisationen fordern Grenzöffnungen statt Luftbrücken, sprechen von Augenwischerei, Gewissensberuhigung. Leutnant Sascha, Zugführer des Lufttransportzuges, kennt die Kritik. Ohne Frage gehe in einen Airbus weniger Material, als ein LKW auf dem Landweg zu den Menschen in Gaza bringen könnte, sagt der Soldat, der nur beim Vornamen genannt werden will. “Aber solange die Versorgung mit den LKW nicht vollumfänglich funktioniert, ist das die einzige Möglichkeit, die wir haben – und wenn wir’s nicht machen, würde gar nichts passieren.”

Die Hilfsgüter kommen vom Welternährungsprogramm WFP und aus Jordanien. Diesmal sind es Kartons mit Reis, Zucker, Öl, Hülsenfrüchte, Pasta und Konserven, Tee und Milchpulver. Konzentriert packen 29 bayerische Bundeswehrangehörige die Paletten; Knochenarbeit, erschwert durch Temperaturen um 40 Grad und die Schals, mit denen sich manche aus Persönlichkeitsschutz das Gesicht vermummen.

Das deutsche Packsystem sei besonders ausgefeilt, sagen die Soldaten nicht ohne Stolz. Ölflaschen etwa werden besonders geschützt positioniert, Zwischenräume mit loser Ware gefüllt. Tatsächlich wirken die deutschen Paletten im Vergleich zu den benachbarten niederländischen kompakt und robust.

Gabelstapler schieben die Pakete in die Flugzeugbäuche. Insgesamt sieben Militärmaschinen steigen an diesem Morgen aus dem Wüstensand auf. Im Himmel über Amman drehen sie Runden. Dann geht es weiter in den israelischen Luftraum zum Mittelmeer. Eine nach der anderen schert aus der Formation aus, um den Gazastreifen anzufliegen.

Täglich werden den Piloten andere Zonen zugewiesen, wo sie die Hilfsgüter absetzen sollen. Möglichst viele Menschen im Gazastreifen sollen so erreicht werden, ohne dass sich die Maschinen gegenseitig behindern oder heraneilende Hilfesuchende von einer zweiten Ladung getroffen werden. Hauptmann Mike – auch er verzichtet aus Sicherheitsgründen auf die Nennung des vollen Namens – fliegt mit seinem Airbus diesmal ein Gebiet zwischen Rafah und Khan Younis im Süden an. Der zweiten deutschen Maschine wurde ein Küstenstreifen an der nördlichen Grenze von Gaza zugewiesen.

Ein letztes Mal prüfen die Soldaten an Bord die Last. Dann wird es ernst. Noch über dem Mittelmeer öffnet sich die Laderampe des Airbus 400M. In wenigen Sekunden rutschen die Paletten in 600 Metern Höhe über die Kante, öffnen sich ihre Fallschirme. “Sieben bis neun Meter pro Sekunde” ist die Fallgeschwindigkeit, sagt der Ladungsmeister. Treffgenauigkeit: 50 Meter oder besser, Faktoren wie Flughöhe und Windgegebenheiten genau eingerechnet.

Trotzdem starben bei einer früheren Luftbrücke mehrere Palästinenser durch herabfallende Hilfsgüter. Am Freitag sollen mehrere von einem Hilfspaket erschlagen worden sein. “Ein gewisses Restrisiko bleibt immer”, sagt Leutnant Sascha. Aber: “Jede Last, die sicher am Boden ankommt, ist potenzielles Material, womit Menschenleben gerettet werden können. Das ist unser Beitrag, den wir leisten können, und da sind wir stolz drauf.”

Das letzte Wort in Sachen Sicherheit haben die Piloten. Ist das Absetzen der Ladung zu riskant, etwa weil sich Menschen in der Abwurfzone befinden, dreht das Flugzeug ab. Maximal ein zweites Mal wird das zugewiesene Gebiet angeflogen. Ist auch dann kein sicherer Abwurf möglich, kehrt die Maschine beladen zurück nach Jordanien. Bisher aber laufe alles nach Plan, sagt Hauptmann Mike. 

Als Luftwaffenpilot hat er Erfahrungen unter anderem in Afrika und Afghanistan gesammelt. Den Gazastreifen sah er am Mittwoch zum ersten Mal, und darin: den Krieg. Auf 80 Prozent schätzt der Soldat den Anteil zerstörter Gebäude. “Natürlich sieht das schlimm aus”, sagt er.

Etwa fünf Minuten hat Mike, um beim Überflug das Land unter sich zu beobachten, auch die unzähligen Behelfsunterkünfte und Zelte am Strand. Dann kommt der professionelle Tunnelblick: “Spätestens bei sechs Minuten fangen wir an, die Drop Zone zu identifizieren – und dann konzentrieren wir uns wirklich nur noch auf die Drops und ob sich da jemand bewegt oder nicht in dem Moment.” Alles andere nehme man “mit nach Hause und denkt dann im Nachhinein drüber nach”.

Eines, sagt der Hauptmann, habe er bei seinem Auftrag aber immer im Kopf: die Menschen in Gaza – und dass es gut sei, “dass wir denen zumindest bedingt helfen können, wenn es natürlich auch – wie in der Politik ja schon immer gesagt wird – nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist”.

Voraussichtlich drei Wochen wird der Einsatz der Mannschaft um Leutnant Sascha und Pilot Mike dauern. Wie lange genau, hängt von der sich ständig entwickelnden Lage ab. Erst am Freitag hat Israels Sicherheitskabinett einer Einnahme der Stadt Gaza und einer militärischen Kontrolle des ganzen Gazastreifens zugestimmt. Menschen, die oft schon mehrfach vertrieben wurden, sollen dann erneut Gebiete räumen müssen. Der Hilfsbedarf der Zivilbevölkerung dürfte damit nur noch weiter steigen.