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Arte-Doku zeichnet Aufstieg und Fall des Apartheidsregimes nach

Filmische Aufarbeitungen der Apartheidsgeschichte Südafrikas sind nicht gerade rar. Ein neuer Dreiteiler besticht dennoch mit präziser Recherche und Stimmen von Opfern wie Tätern, die aufeinander bezogen werden.

Kein anderer moderner Staat war bis in die 1980er Jahre hinein aufgrund institutionalisierter Menschenrechtsverletzungen so sehr isoliert wie Südafrika. Nelson Mandelas berühmte Worte “Free at last”, die nach seiner Ernennung zum ersten schwarzen Präsidenten 1994 das Ende der Apartheid besiegelten, markierten einen historischen Wendepunkt. Südafrika wurde zum Hoffnungsträger für Demokratie und Menschenrechte auf dem afrikanischen Kontinent. Eine dreiteilige Arte-Doku blickt zurück auf die Entstehung der Rassentrennung und zeichnet den steinigen Weg der Aufarbeitung unzähliger Apartheidsverbrechen nach.

Der Film versammelt eine erstaunliche Fülle von Zeitzeugen. Zu Wort kommt unter anderem der Enkel von Hendrik F. Verwoerd, der von 1958-1966 Premierminister war und als “Architekt der Apartheid” gilt. Er propagierte die Geschichte einer kleinen, wehrhaften Gruppe von Afrikanern, die sich gegen das britische Empire behauptete und so ihre Freiheit erlangte.

Eine Schlüsselrolle bei der Etablierung der Rassentrennung spielte insbesondere die niederländische Reformkirche. Sie war maßgeblich an der Idee beteiligt, dass die südafrikanische Gesellschaft nach verschiedenen ethnischen Gruppen organisiert werden sollte. In Archivfilmen präsentiert Verwoerd diese Ideologie freundlich lächelnd als “Politik der guten Nachbarschaft”.

Wie diese “gute Nachbarschaft” tatsächlich aussah, verdeutlich die erste Episode im Rückblick auf die Ereignisse in Sharpeville. Als die Bewohner des Townships hier 1960 gegen ein Gesetz demonstrierten, das die Bewegungsfreiheit der nicht-weißen Bevölkerung drastisch einschränkte, eröffnete die Polizei das Feuer auf die Menge. Offiziell starben dabei 69 Menschen. Polizeiprotokolle, die später entdeckt wurden, beweisen nun, dass damals mindestens 91 Protestierer niedergemetzelt wurden – 22 mehr als bekannt. Die Leichen dieser 22 Menschen wurden bis heute nicht gefunden. Der Film macht spürbar, wie es sich für deren Angehörige anfühlt, die niemals vor einem Grabstein trauern konnten.

In den 1970er Jahren, so zeigt die zweite Episode, wandelte Südafrika sich zum Polizeistaat. Grausame Übergriffe wurden zum Alltag. Wer als Beamter monatlich nicht mindestens 50 Verhaftungen durchführte, bekam Ärger mit seinen Vorgesetzten. Damals wurden Schwarze, so einer der Polizisten, “als Untermenschen bezeichnet”. Geheimkommandos machten Jagd auf den sich damals formierenden bewaffneten Widerstand gegen das Apartheidregime. Zu Wort kommt einer jener Auftragskiller der Geheimpolizei, der an der Ermordung von vier mutmaßlich militanten Studenten beteiligt war. Sein Fall ist eines der wenigen Gerichtsverfahren, die bis heute noch nicht abgeschlossen sind.

Die dritte Episode thematisiert die Arbeit jener Wahrheits- und Versöhnungskommission, die im Auftrag der neu gewählten Regierung ab 1994 das gespaltene Land wieder zusammenbringen sollte. Für viele Südafrikaner, die sich eine Aufarbeitung im Stil der Nürnberger Prozesse gewünscht hatten, war dieses Verfahren eine bittere Enttäuschung. Das Versprechen der Amnestie, das diese Kommission gab, brachte immerhin einige der Täter dazu, Morde zu gestehen – die ansonsten für immer vertuscht worden wären. Für Angehörige, so dokumentieren tränenreiche Szenen, sind diese Geständnisse die einzige Möglichkeit wenigstens zu erfahren, was mit ihren Familienmitgliedern geschah. Gerechtigkeit, so das ernüchternde Fazit, wird dabei aber nicht hergestellt. Wahrheit allein ist nicht Gerechtigkeit. Und deshalb gilt die Wahrheits- und Versöhnungskommission heute als gescheitert.

An ihre Grenzen stößt die Filmreihe unter anderem mit Blick auf die schillernde Figur von Rolf Meyer. Der frühere Stellvertreter von Adriaan Vlok, der als “Apartheidsminister” das blutige Vorgehen des Polizeistaates maßgeblich mit organisiert hatte, behauptet vor der Kamera, er habe von all dem nichts gewusst. Allerdings räumt er ein: “Ich hätte mehr nachhaken sollen”.

Neu ist das alles gewiss nicht. Zumal das Thema bereits in zahlreichen Projekten aufgegriffen wurde, darunter im Dokumentarfilm “Searching for Sugar Man” oder fiktionalisiert in “Schrei nach Freiheit/Cry Freedom”, die beide mit dem Oscar prämiert wurden. Was den eher leise erzählten Dreiteiler dagegen auszeichnet, ist der konsequente Versuch, die Geschichten von Tätern und Opfern präzise zu recherchieren und jeweils aufeinander zu beziehen.

Erahnbar wird dabei, wie komplex und verfahren die Nachwirkungen der Rassentrennung sind. Der Film gibt jenen Menschen eine Stimme, deren Angehörige ermordet wurden. Als Folge der jahrzehntelangen Unterdrückung einer mehrheitlichen Menschengruppe kommt das Land aber selbst drei Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid nicht zur Ruhe. Fast alle eingeleiteten Verfahren gegen einstige Täter werden nämlich systematisch verschleppt. Denn im Fall einer konsequent gehandhabten juristischen Aufarbeitung, so eine These der Dokuserie, müssten auch die blutigen Übergriffe der Mandela-Partei African National Congress (ANC) ans Licht kommen. Zur Wahrheit gehört eben auch, dass seit 1994 eine nicht unerhebliche Anzahl weißer Farmer ermordet wurde. Diese Information hätte die bewegende dreiteilige Dokumentation abgerundet.