Artikel teilen:

Armin Mueller-Stahl wird 95: Weltbürger aus Überzeugung

Die Schauspielerei bezeichnet Armin Mueller-Stahl gern als Handwerk, das er gelernt hat. Das Malen hingegen komme ihm aus dem Bauch. Der Mann mit dem wachen Blick aus markanten blauen Augen war in der DDR, in der Bundesrepublik und in den USA ein äußerst populärer Filmstar. In weit über 100 Filmen hat er mitgespielt.

Am 17. Dezember wird Mueller-Stahl 95 Jahre alt. Vor der Kamera steht er nicht mehr, aber künstlerisch ist er noch immer aktiv, mit Stift und Pinsel. Bis zum 12. April 2026 sind Werke von ihm in der Kunsthalle Emden zu sehen. „Tag und Nacht auf Erde“ ist die Ausstellung betitelt.

Schon früher hat er häufig Drehbücher mit Skizzen und Aquarellen verziert. Etwa das zu Heinrich Breloers Fernseh-Dreiteiler „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“, in dem er Thomas Mann verkörpert. „Das war wie ein Tagebuch – ich konnte unter den Malereien und Zeichnungen entdecken, ob es ein guter Drehtag war oder ein nicht so guter“, sagte er dem NDR.

Dem politisch katastrophalen USA-Alltag unter Donald Trump widmet er sich in seinen Kunstwerken mit intensiven Farben und groben Pinselstrichen, der Religion in „Kardinäle diskutieren über Sex in der Kirche“. Dazu kommen zahllose Porträts, etwa von Billy Wilder oder Yehudi Menuhin. Die Malerei mache ihn frei, sagte Mueller-Stahl einmal. Auch als Regisseur hat er sich erprobt, bei „Gespräch mit dem Biest“ mit ihm selbst in der Hauptrolle. Und natürlich ist er auf der Theaterbühne zu Hause.

Armin Mueller-Stahl kommt 1930 kommt in Ostpreußen, in Tilsit, dem heutigen russischen Sowetsk, zur Welt. Die Mutter ist Ärztin, der Vater Bankkaufmann. 1938 zieht die Familie ins brandenburgische Prenzlau. Armin studiert Musik und Geige, wird aber Schauspieler. 1952 steht er im Berliner Theater am Schiffbauerdamm erstmals auf der Bühne. Wenige Jahre später debütiert er im Film, in Gustav von Wangenheims „Heimliche Ehen“.

Rasch zählt er zu den beliebtesten Darstellern der DDR. Auch im Westen ist er bekannt, vor allem durch Anti-Nazi-Filme wie Frank Beyers „Nackt unter Wölfen“, der im KZ Buchenwald spielt, und dem Ghetto-Drama „Jakob der Lügner“. In dem Fernsehfilm „Die letzte Chance“ (1962) beeindruckt er als Pianist, der sich nach dem Krieg überraschend mit seinem Peiniger aus dem KZ konfrontiert sieht.

Doch zunehmend reibt Mueller-Stahl sich an der SED-Politik. 1976 protestiert er gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann und bekommt keine Rollen mehr. „Lieber einen Knick in der Karriere als im Rückgrat“, definiert der Schauspieler seine Grundhaltung. 1980 wird sein Ausreiseantrag genehmigt. Mit seiner Frau Gabriele und Sohn Christian geht er nach Westberlin.

In seinen ersten „West“-Rollen spielt er Männer, die sich in einer fremden Umgebung unsicher fühlen, melancholisch wirken. In Rainer Werner Fassbinders „Lola“ (1981) ist er ein Bauingenieur aus dem Osten, der in der westdeutschen Provinz der 50er Jahre mit schmutzigen Geschäftspraktiken der Branche in Konflikt gerät. In Niklaus Schillings „Der Westen leuchtet“ (1982) verkörpert er einen Ostagenten, der sich mit den Spielregeln der westlichen Gesellschaft vertraut machen muss.

Mueller-Stahl bringt überzeugend und nuanciert seelische Abgründe zum Ausdruck. Schlicht gestrickte Helden sind nicht sein Ding. 2010 erscheint die CD „es gibt tage …“ mit Songs, die er einst in der DDR geschrieben hatte, poetische, skurrile und satirische Lieder. Es ist ein mit Vergnügen gesungener Abschiedsgruß an die DDR.

Die Erfolge des Schauspielers in internationalen Produktionen wie Bernhard Wickis „Das Spinnennetz“ (1989) lassen Hollywood aufhorchen. Auch hier sind die ersten Rollen – Fremde, Zugewanderte – perfekt auf ihn zugeschnitten. In Costa-Gavras’ „Music Box“ (1989) ist er ein alter ungarischer Nazi, der lange unbehelligt in den USA lebte. In „Avalon“ (1990) spielt er einen polnischen Juden, der 1914 in die USA einwanderte. Eine ungewohnt komische Rolle hat er als New Yorker Taxifahrer in Jim Jarmuschs „Night on Earth“ (1991): Der Typ namens Helmut spricht kaum Englisch und kann eigentlich auch nicht Auto fahren.

Für seine Rolle als Mann, dessen Eltern im Konzentrationslager ermordet wurden, in „Shine – der Weg ins Licht“ wird er für den Oscar als bester Nebendarsteller nominiert. Mueller-Stahl ist auch als Autor aktiv, verfasst Erzählungen, Romane und Tagebücher. 2014 erschien seine Autobiografie „Dreimal Deutschland und zurück“, 2022 „Jüdische Freunde – Schicksale, Weggefährten, Porträts.“

Der Künstler pendelt zwischen seinem Wohnsitz im ostholsteinischen Sierksdorf und dem im kalifornischen Pacific Palisades. „Weltbürger aus Überzeugung“ hat er sich selbst einmal genannt.
Den Tod fürchtet er nicht: „Den Abpfiff habe ich nicht in der Hand. Und davor habe ich keine Angst“, sagte er kürzlich dem „Focus“.