An Weihnachten sind Menschen heute häufig im Kaufrausch – ganz im Kontrast zu den Bewohnern der armen Schwäbischen Alb vor 100 Jahren. Die in Laichingen (Alb-Donau-Kreis) aufgewachsene Journalistin und Autorin Gudrun Mangold hat sich mit dem Leben der „Älbler“ beschäftigt und das Buch „’s Christkendle uff dr Alb“ veröffentlicht. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt sie, was damals den Reiz der Weihnacht ausgemacht hat.
epd: Frau Mangold, wenn Sie historische Weihnachten auf der armen Alb mit dem Weihnachten von heute vergleichen: Was ist der wichtigste Unterschied?
Mangold: Weihnachten früher auf der Alb – das hieß ganz einfach: Weihnachten ohne Geld. Also musste man machen statt kaufen. Denn dass man sich Geschenke unter den Baum legen wollte, insbesondere für die Kinder, das war auch damals selbstverständlich. Also schreinerten die Männer für ihre Kinder Puppenstuben und Eisenbahnen und machten ihnen Skier aus Fassdauben und Lederriemen. Die Frauen und Mädchen strickten für die ganze Familie warme Pullover und Socken aus der selbst gesponnenen Schafwolle. Das mit ein paar echten Glaskugeln geschmückte Bäumle war je ärmer, desto kleiner. Aber es hat seinen frischen Tannenduft in der meist kleinen Stube verbreitet und war aus dem nahen Wald, wo man es selbst geschlagen oder bei der Gemeinde gekauft hat.
epd: Auf der Alb kämpfte man damals eher ums Überleben, im Vergleich dazu herrscht heute fast überall Überfluss. Sollten wir nicht froh sein, dass das alles nur Geschichte ist?
Mangold: Extreme Armut, Hunger, Frieren, ist nichts Schönes. Es verbietet sich, das zu romantisieren. Wir können aber auch nicht froh sein, dass wir heute dabei sind, den Ast abzusägen, auf dem wir sitzen. Bemerkenswert ist, dass alle, die noch wissen, wie man früher auf der Alb Weihnachten gefeiert hat, sagen, es sei viel schöner gewesen als heute. Fangen wir bei den „Bredla“ (Plätzchen) an – die waren wegen mangelnder Zutaten weder zu süß noch zu fett noch chemiebelastet, sondern einfach nur von herrlichem Geschmack und überaus bekömmlich. Geschenke wie warme Pullover wurden dringend benötigt, und die Puppenstube oder der Kaufladen langweilten bestimmt kaum ein Kind. Der Schein einer Kerze aus Bienenwachs – ist er nicht viel schöner als unzählige, plastikverzierte LED-Lämpchen? Also – man muss nicht in die Armut zurückfallen, um auf Kitsch zu verzichten. Und dann bliebe auch noch viel Geld übrig, mit dem man vielleicht anderen helfen könnte.
epd: Traditionen wie das Backen von „Bredla“ haben sich gehalten. Warum eigentlich?
Mangold: Wahrscheinlich haben wir – trotz oder wegen des Überflusses an ganzjährig verfügbaren Süßigkeiten – ein Bedürfnis nach Individualität. Nach dem Duft, der sich bereits beim Backen von würzigem Weihnachtsgebäck im Haus verbreitet. Und nach den ganz eigenen Familienrezepten und dem jeweils ganz typischen Geschmack. Bis heute finden sich in vielen Backbüchern noch handgeschriebene Zettel – „Haselnuss-Bredla“. „Spitzbuaba“, „Zemat-Steara“ (Zimt-Sterne) – in jedem Haus schmecken sie wieder ganz anders. Und gerade das ist das Schöne. (3234/14.12.2025)