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ARD-Experiment zu KI und Politik bleibt leider an der Oberfläche

Alle machen was mit KI, nun auch die ARD. Trotz eines erfrischend pessimistischen Nobelpreis-Gewinners mangelt es dem Dokumentarfilm “Der Autokraten-Code” aber leider etwas an Brisanz.

Der knapp 85-minütige Film beginnt mit den zutreffenden Beobachtungen, dass global Demokratien “bröckeln”, vor allem, weil “autokratische Politiker” Institutionen aushöhlen, nachdem sie demokratisch gewählt wurden. So wie dieser Typus, verkörpert nicht zuletzt von Donald Trump, so ist auch Künstliche Intelligenz (KI) in allen Bereichen “auf dem Vormarsch”. Insofern stellt der Offkommentar die Frage “Kann KI auch benutzt werden, um Demokratien zu schaden?”.

Das ist sozusagen die dystopische Gegenfrage zu “Kann KI die Demokratie retten?” – die Linda Zervakis als ProSieben-Reporterin kürzlich stellte. Der Film “Der Autokraten-Code” (am Montag im Ersten und schon in der ARD-Mediathek) veranstaltet nun ein laut Pressetext “nie dagewesenes Experiment”: Ein Team aus sechs Expertinnen und Experten kreiert mit KI eine “autokratische Führungspersönlichkeit”, die in Deutschland Wahlen gewinnen können soll. Und am Ende – auf das nach üblichem Strickmuster die Höhepunkte-Vorschau gleich am Anfang gespannt machen will – kündigt die erschaffene Kunstfigur der echten ARD-Talkerin Caren Miosga an, “Bundeskanzler werden” zu wollen.

Streng genommen ist “Der Autokraten-Code” mit “Dokumentarfilm” falsch gelabelt. Vor allem setzt der Film eine speziell für ihn ausgedachte Laborsituation in Szene: Expertinnen und Experten für unterschiedliche Themen, für KI-generierte Bilder, 3-D-Kunst, Cybersicherheit, für Marketing sowie Politikwissenschaftler, sitzen vor ihren Laptops rund um einen Konferenztisch in einer leicht kompetitiven Situation (die im weiteren Verlauf allerdings keine Rolle mehr spielt).

Sechs Wochen Zeit und 10.000 Euro Budget haben sie zur Verfügung, um diese virtuelle Person zu erschaffen, die in Sozialen Medien und klassischen Bewegtbildmedien auftreten kann. Dazu sollen eine Kampagne und Slogans entstehen, mit der diese Person bei Wahlen erfolgreich mitmischen könnte. Die ARD legt großen Wert darauf, dass der Name des so geschaffenen Kandidaten (den man lustigerweise auf Plattformen wie X/ Twitter bereits finden kann) bis zur Filmveröffentlichung nicht genannt wird. Dem soll hier nichts im Wege stehen, schon weil sich die Brisanz des Ganzen in engen Grenzen hält.

Vor allem reden die Experten miteinander und in die Kamera über Möglichkeiten, die gestellte Aufgabe zu erfüllen. Wer sich noch nicht intensiv mit dem Thema beschäftigte, mag dabei einiges über Künstliche Intelligenz erfahren. Besonders konkret wird all das leider nicht, und das führt zum wesentlichen Manko des Films. Weil nichts vertieft wird, wird es an der Oberfläche zusehends beliebig. Zwar befragen die Experten zwei unterschiedliche KIs, doch was die dann vorschlagen, erfährt das Publikum allenfalls ausschnittsweise,

Zur Leitfrage, welche Angriffspunkte sich KI bei Wahlen speziell in der deutschen Demokratie böten, ist leider nicht mehr viel zu hören und zu sehen. Nachdem für den virtuellen Autokraten in längeren, nicht besonders aufschlussreichen Expertengesprächen ein angeblich sympathisches Gesicht und eine dazu passende Stimme gefunden wurden, zieht der so erschaffene 52-jährige Mann mit Formeln wie der, den “Nationalstolz wiederherzustellen”, und mit Sprüchen wie “weder links noch rechts” in die Sozialen Medien. Auch hierzu stellt der Film keine vertiefenden Fragen.

Als Pluspunkte erweisen sich mit prägnanteren Aussagen eingespielte weitere Fachleute, die nicht am Experiment teilnahmen. “Öffentlichkeit transformiert sich mit jeder Medienrevolution”, sagt etwa der Sozialwissenschaftler Nils Kumkar – und dass Medienrevolutionen seit jeher, spätestens seit Erfindung des Buchdrucks, “politische Strukturen zerstören”. Darüber, wie das bei einer KI-Revolution laufen könnte, mehr zu hören, wäre interessant gewesen. Geradezu erfrischend pessimistisch und dennoch pragmatisch äußert sich der britische KI-Pionier Geoffrey Hinton. KI werde Arbeitsplätze zerstören und dadurch soziale Konflikte auslösen, sagt er etwa. Und: “KI wird die schlechten Dinge verstärken.” Hinton bezieht sich dabei auch auf Fake-Videos im laufenden US-amerikanischen Wahlkampf.

Hier könnte ganz aktuelle Brisanz liegen – und sei es nur, wenn Wählern gezielt falsche Wahllokale und Wahltermine genannt werden. Bei der Auswahl Hintons, dem gerade der Physik-Nobelpreis 2024 zuerkannt wurde, haben die “Autokraten-Code”-Macher ein gutes Händchen bewiesen.

Wenn hingegen noch in Offenbach (dessen Wahlergebnisse fürs ganze Land besonders repräsentativ seien) Wahlwerbespots des “Autokraten-Code”-Kandidaten im Vergleich mit echten Spots echter Parteien an Wählern getestet werden, bleibt das ähnlich unbrisant wie die Ergebnisse einer “großangelegten Onlinestudie”, schon weil die Ausgangsfragen unklar bleiben. Am anfangs angeteaserten Höhepunkt, wenn der KI-Kandidat per Videoschalte von Miosga interviewt wird, zeigt sich, dass die vom Expertenteam in sechs Monaten generierte Figur in ihrer Staksigkeit kaum zu überzeugen vermag.

Schade, dass dieser primär für die Mediathek produzierte Film, dessen Idee immerhin den ARD-“TopDocs”-Wettbewerb 2023 gewonnen hatte, nicht das hält, was er im Vorfeld versprach. Vielleicht wollten die neun Redakteurinnen und Redakteure aus sieben ARD-Anstalten, die der Abspann nennt, zu viel oder zu Unterschiedliches?

Was sich in dem Zusammenhang immerhin als Positives sagen lässt: Der publizistische Wettbewerb im alten “Dualen System” des deutschen Rundfunks läuft manchmal doch noch – und zum Themenkomplex KI und deutsche Politik ist dem Privatsender Pro Sieben mit Zervakis’ “Kann KI die Demokratie retten?” eine überzeugendere Produktion gelungen als der öffentlich-rechtlichen ARD.