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“Arbeiten mit 85?” – Doku porträtiert Menschen im “Unruhestand”

Drei Einzelschicksale und ein bedrückender Trend: Immer mehr Seniorinnen und Senioren müssen auch im Ruhestand weiterarbeiten. Eine ZDF-Doku zeigt, was hinter der Rentenstatistik steckt.

Eine Rente haben im Jahr 2023 in Deutschland laut Statistischem Bundesamt rund 22 Millionen Menschen bekommen. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung von rund 83 Millionen ist das ein großer Anteil. Die Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung vor 136 Jahren war ein Meilenstein der sozialen Sicherung. Doch das Modell des damaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck geht immer häufiger nicht auf. Mit Menschen, denen nach langen Arbeitsjahren nicht genug Rente zum Leben bleibt, befasst sich am 3. Juni um 22.15 Uhr die ZDF-Dokumentation “37 Grad: Rente? Reicht nicht!”. Drei Beispiele gewähren Einblick und geben offen Auskunft.

Obwohl das Altersruhegeld den Lebensstandard sichern soll, der zuvor im Erwerbsleben erreicht worden war, gibt es immer mehr Menschen, die im Rentenalter arbeiten, um über die Runden zu kommen. Das hat viele Gründe: Geld zum Lebensunterhalt ist vorrangig, aber auch soziale Kontakte und die Freude am Job spielen eine Rolle. Vanessa, Angelika und Ebi stellen sich trotz Rente optimistisch und kämpferisch ihrem letzten Job – auch, weil sie in der Tätigkeit Erfüllung finden.

Vanessa ist selbstständige Fußpflegerin. Wenn die 85-Jährige krank ist, dann fehlt ihr am Monatsende Geld. Drei Söhne hat sie allein großgezogen, und sobald diese aus dem Gröbsten heraus waren, hat die Mutter als Friseurin und später bei der Arbeiterwohlfahrt gearbeitet – insgesamt 25 Jahre in Vollzeit. “Ich bin sparsam, aber das Geld würde nie langen”, klagt Vanessa, deren Kundschaft aus dem Viertel kommt, in dem sie seit 50 Jahren in einer Sozialwohnung in Frankfurt am Main wohnt.

Angelika ist in der Spätschicht tätig und nimmt einen weiten Arbeitsweg in Kauf, um Regale in einem Berliner Supermarkt einzuräumen. Eine körperlich schwere Arbeit für eine 75-Jährige, die einen Job in ihrer Nachbarschaft bisher vergeblich sucht. Früher war Angelika verheiratet und kümmerte sich um ihre Tochter, die heute in Los Angeles lebt und ihrer Mutter nicht helfen kann. Vor der Kamera spricht Angelika – sie war insgesamt 28 Jahre berufstätig – über ihre größte Sorge, “anderen zur Last zu fallen”, beklagt aber auch, sie fühle sich bei ihrem Job von der Umgebung belächelt.

Ebi wiederum liebt seine Arbeit als Deutschlehrer für Migrantinnen und Migranten in Hamburg. Dass er eines Tages Lehrer werden würde, war nicht geplant, denn der 71-jährige Single war es in jüngeren Jahren gewohnt, Geld zu haben. Seine wohlhabende Familie im Iran schickte ihn auf ein Internat nach Deutschland, später zum Studium in die Schweiz. Bis zu einem Bandscheibenvorfall arbeitete Ebi als Geschäftsmann und Unternehmer, aber in die Rentenkasse hatte er als Selbstständiger nicht einbezahlt. Ebi sagt, dass er Glück gehabt hat, “die Arbeit gibt mir Kraft und Energie.”

Um Protagonistinnen und Protagonisten für eine realitätsnahe Dokumentation zu finden, hat der Berliner Filmemacher Eppinger Senioren-Treffpunkte besucht, Tafeln und Vereine. Letztendlich, erklärt er rückblickend, kenne immer ein Mensch einen anderen – so lernte er selbst mit der Zeit viele Betroffene kennen, darunter Vanessa, Angelika und Ebi. Für den Regisseur ist Sympathie bei einem solchen Projekt zentral, weil dadurch Nähe und Vertrauen “wie von selbst” entstünden. “Wir haben die drei ein Jahr begleitet und mehrmals mit der Kamera zu Hause und im Job getroffen – und das verbindet”, sagt Eppinger im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Seine ZDF-Dokumentation “37 Grad: Rente? Reicht nicht!” zeichnet Nähe zu den Menschen aus, wahrt aber zugleich notwendige Distanz. Viele Seniorinnen und Senioren schämen sich, noch für Geld arbeiten zu müssen. Um dieser Scham etwas entgegenzusetzen, hat sich Gregor Eppinger zum Ende für positive Statements von Vanessa, Angelika und Ebi entschieden – mit Blick auf den Spagat zwischen Fachkräftemangel und Erfahrungsschatz nicht ohne einen gewissen Zweckoptimismus.