In Schleswig-Holstein ist die Zahl antisemitischer Vorfälle weiter gestiegen. Die landesweite Dokumentationsstelle Antisemitismus (Lida-SH) registrierte im vergangenen Jahr 588 Fälle und damit 390 Prozent mehr als 2023 mit 120 Fällen, wie Lida-SH am Donnerstag in Kiel mitteilte. Das sei der höchste Stand an antisemitischen Vorfällen seit dem ersten Lida-Bericht im Jahr 2019. Im Schnitt dokumentierte Lida mehr als elf Vorfälle pro Woche. Alle Landkreise sind betroffen, der Großteil fand aber mit 504 Fällen in Kiel statt. Höhepunkt war dort eine Sticker-Aktion im Dezember 2024. Auf den Aufklebern war zu Gewalt gegen einen israel-solidarischen Mann aufgerufen worden.
Der schleswig-holsteinische Antisemitismusbeauftragte und evangelische Nordkirchen-Altbischof Gerhard Ulrich bezeichnete die Zahlen als Alarmruf. Es sei kein Zufall, dass die Vorfälle seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 so dramatisch gestiegen seien. Die Auswirkungen des Terrors spürten auch die Jüdinnen und Juden hierzulande. Die meisten der registrierten Fälle waren dem israelbezogenen Antisemitismus zuzuordnen.
„Umso wichtiger ist es, dass wir nicht zulassen, dass sich dieser furchtbare Krieg auch auf unseren Straßen entlädt“, sagte Ulrich. Jüdinnen und Juden hätten genauso ein Recht auf ein angstfreies Leben wie alle anderen auch. „Sie sind ein großer und wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Wir sind tief mit ihnen verbunden, sie verdienen unsere Solidarität“, betonte der frühere Landesbischof.
Verletzendes Verhalten machte mit 464 Fällen den Hauptteil der Fälle aus. Lida dokumentierte aber auch 59 Bedrohungen, fünf Angriffe und 16 Sachbeschädigungen an jüdischem Eigentum. In Kiel seien etwa Stolpersteine als Erinnerung an die Ermordung von Juden und Jüdinnen in der NS-Zeit beschädigt worden, erklärte Lida-Sprecher Joshua Vogel.
Er ist überzeugt, dass Lida längst nicht alle antisemitischen Fälle registriere. „Wir leuchten hier mit einer kleinen Taschenlampe in einen großen, dunklen Raum.“
Man könne an den gemeldeten Fällen aber bereits ablesen, dass Antisemitismus sich in erster Linie auf der Straße, aber auch im privaten Umfeld der Jüdinnen und Juden zeige. „Sie können sich also an keinem Ort mehr sicher fühlen. Viele geben sich nicht mehr als Juden zu erkennen, fühlen sich selbst in Synagogen nicht mehr sicher“, sagte Vogel. Der Druck in der jüdischen Community nehme spürbar zu. „Antisemitismus droht zu einem alltäglichen Phänomen zu werden“, erklärte er.