Pazifismus könne den Krieg und die Diktatur Putins nicht stoppen – die US-Historikerin Anne Applebaum hat in ihrer Friedenspreis-Dankesrede mehr militärische Unterstützung für die Ukraine gefordert.
Die US-amerikanische Publizistin Anne Applebaum hat den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Sie nahm die renommierte Auszeichnung am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche entgegen.
In einem drängenden Appell rief Applebaum Deutschland und Europa zu größerer militärischer und politischer Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen den russischen Angriff auf. Sie wandte sich gegen pazifistische Haltungen und gegen einen naiven Traum von einem “auf magische Weise eintretenden Frieden”. Pazifistische Forderungen bedeuteten letztlich, “dass wir die Eroberung der Ukraine, ihre kulturelle Zerstörung, die Errichtung von Konzentrationslagern und die Entführung von Kindern aus der Ukraine akzeptieren sollten”.
Wer die Ukraine zur Aufgabe von Gebieten, Menschen und demokratischen Grundwerten aufrufe, der habe “rein gar nichts aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt”, sagte Applebaum unter großem Applaus der Festgäste in der Paulskirche.
Die eigentliche Lehre aus der deutschen Geschichte bestehe nicht darin, dass Deutschland nie mehr Krieg führen dürfe, argumentierte Applebaum. Vielmehr habe Deutschland eine besondere Verantwortung zum Schutz der freien Welt und müsse dazu auch Risiken eingehen. “Der Rest der Welt braucht Sie!”, rief Applebaum.
In ihrer Würdigungsrede beschrieb Irina Scherbakowa, Mitbegründerin der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Menschenrechtsorganisation Memorial, Applebaum als mutige und hellsichtige Aufklärerin. Wenn der Westen früher auf die Analysen der US-Publizistin gehört hätte, wäre die aggressive Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin viel früher gestoppt worden, sagte die vor russischer Verfolgung nach Deutschland geflohene Menschenrechtlerin. Nun müsse ein Sieg Putins unter allen Umständen verhindert werden, sagte Scherbakowa. Schon jetzt habe der Krieg Europa für immer verändert.
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ist mit 25.000 Euro dotiert. Der Börsenverein des Buchhandels vergab ihn jetzt zum 75. Mal. Geehrt werden Persönlichkeiten, die in Literatur, Wissenschaft oder Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen haben. 2023 wurde der Schriftsteller Salman Rushdie ausgezeichnet.
Die Vorsteherin des Börsenvereins, Karin Schmidt-Friderichs, sagte, Applebaum habe mit ihren tiefgründigen Analysen der kommunistischen und postkommunistischen Systeme der Sowjetunion und Russlands die Mechanismen autoritärer Macht offengelegt. Mit ihren Forschungen zur Wechselwirkung von Wirtschaft und Demokratie sowie zu den Auswirkungen von Propaganda zeige sie auf, wie zerbrechlich Demokratien sind. “Danke, Anne Applebaum, dass Sie uns die Augen öffnen, Ihren Blick gen Osten mit uns teilen und uns helfen, die Welt zu sehen, wie sie ist!”
Applebaum ist Expertin der osteuropäischen Geschichte und warnte schon früh vor einer Expansionspolitik Putins. Für ihre Bücher wie “Der Gulag” und die “Die Verlockung des Autoritären” erhielt sie international große Aufmerksamkeit.
Geboren 1964 in Washington als Kind jüdischer Eltern, studierte Applebaum zunächst an der Yale University Russische Geschichte und Literatur, bevor sie in London und Oxford ihren Schwerpunkt auf Internationale Beziehungen setzte. 1988 begann sie ihre journalistische Karriere als Auslandskorrespondentin in Polen. 2002 wurde sie Mitglied im Herausgebergremium der “Washington Post”, für die sie bis 2019 als Kolumnistin tätig war. Seitdem schreibt sie vornehmlich für die US-amerikanische Zeitschrift “The Atlantic”.
Applebaum, die mit Unterbrechungen seit 30 Jahren in Polen lebt, besitzt auch die polnische Staatsbürgerschaft. Seit 1992 ist sie mit dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski verheiratet.