In seinem filmdokumentarischem Essay “Mein Land will nicht verschwinden” schlägt Andreas Goldstein Brücken aus der Wendezeit ins Hier und Jetzt und analysiert dabei ganz nebenbei die Rolle der Medien.
“Die Kapitulation des deutschen Sozialismus war beiläufig erfolgt, in Form eines Reisegesetzes”, heißt es ziemlich am Anfang von Andreas Goldsteins filmdokumentarischem Essay “Mein Land will nicht verschwinden”. Dieser lakonische Ton wird sich die vollen 90 Minuten des Films fortsetzen, von der unmittelbaren Zeit der “Wende” bis in die 1990er Jahre.
Wenn der 1964 in Berlin, Hauptstadt der DDR, geborene Goldstein formuliert: “Ihre Gegenwart wird Geschichte, und ihre Geschichte ein umkämpftes Gebiet”, umreißt das auch gleich die (gesellschafts-)politische Haltung des Films, wobei völlig klar ist, auf welchem Standpunkt der Autor selbst steht. “Das Wasser durchzog die geteilte Stadt in seinen geteilten Armen. Es kam aus tschechischen Bergen, passierte zwei Grenzen, um sich im Meer aufzulösen. Auch dieses lächerlich kleine Wasser trieb ins Meer”, formuliert Goldstein beinahe zärtlich dieses bis heute präsente Unterlegenheitsgefühl.
Es geht ihm um das, was hätte sein, hätte werden können und dann zweimal überrollt wurde. “Die DDR war weder Ziel noch Erfüllung, sondern ein Übergang. Das Fundament des Landes war die Zukunft”, formuliert Goldstein über den Versuch des deutschen Sozialismus, der schon bald von der Unfähigkeit seiner Funktionäre und ihrer eigentümlichen Schlichtheit bestimmt wurde. Als sich die Menschen dann vom Führungsanspruch der Partei der Arbeiterklasse emanzipiert hatten, kamen der Westen, Konsumversprechen und die D-Mark.
Das ist keine ganz neue Sicht auf die letzten 30, 40 Jahre deutsch-deutscher Geschichte. Aber in ihrer manchmal leicht larmoyant wirkenden Intellektualität berührend und ehrlich. Und selten geworden im deutschen Fernsehen.
Goldstein hebt außerdem gleich mehrere kleine Schätze der TV-Geschichte in Ost und West. Etwa den “Hilferuf von drüben” im konservativen ZDF-Magazin von Gerhard Löwenthal sowie “Kennzeichen D” (ebenfalls ZDF), in dem deutsch-deutsche Arbeitsrealitäten und Arbeitende zu Wort kommen.
Wenn es dann zum Kombinats-Direktor beim Betriebsrundgang heißt: “Die Angestellten machen einen Diener. Die Arbeiter nicht, weil sie so gut wie der Direktor wissen, dass man mit Planziffern mogeln muss”, sagt das mehr als lange Zahlenkolonnen zum wirtschaftlichen Niedergang der DDR.
Das Ganze wird zwischendurch auch durchaus komisch, wenn es zum zweimal alljährlich tapfer absolvierten Leipziger Messerundgang des SED-Generalsekretärs heißt: “Honeckers Weltreise ging einen halben Tag. Er musste an den meisten Ständen trinken und am Ende vom sowjetischen Botschafter gehalten werden. Hatten sich die Kommunisten so … ihre Zukunft vorgestellt?” Oder wenn Goldstein sachlich anmerkt: “Ein Freund träumte von einer Karriere als Dissident. Ein unveröffentlichtes Buch, und alle Frauen in Prenzlauer Berg wären seine.”
Die Zeichen der Zeit waren laut Goldstein eigentlich längst sichtbar: “Die Regierung, die früher sowjetische Wagen fuhr, war auf französische und schwedische Modelle umgestiegen. Die Losungen hingen noch, aber der Weg schien schon in den Westen zu führen.”
Dann kam das Jahr 1989, und noch im Sommer tat die “DDR so, als sei nichts geschehen. Der Regierung hatte es die Sprache verschlagen. Im Westfernsehen sah ich meine Leute.” Der Mauerfall “beendete alles, was gerade begonnen hatte, die Verständigung der Gesellschaft über ihre ureigensten Belange”, so das bittere Fazit Goldsteins.
Bis heute spreche man “vom Osten wie von einem schwierigen Kind, und je nach Perspektive verurteilend, belehrend, mitfühlend, therapeutisch”, so Goldstein weiter – und: “Die Leute im Osten blieben ein besprochenes, ein angesprochenes Volk. Im Status des Objekts der Geschichte, als Opfer einer oder zweier Systeme. Aber nicht als Reflektierende, als Urteilende – und nicht als Zeitgenossen. Dabei hatten sie dem Westen die Erfahrung einer Niederlage voraus”.
Doch “Mein Land will nicht verschwinden” zeigt auch, welche Erkenntnisse bleiben. Oder besser: Bleiben und ernstgenommen werden sollten. Anfang November 1989 übte das Fernsehen der DDR im eigenen Programm Selbstkritik, und kurz vor der großen Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November 1989 kam eine Szene, die in ihrer Aktualität an nichts eingebüßt hat. Und die geradezu seherisch das aktuelle mediale Dilemma der digitalen Gesellschaft umreißt.
Da überfällt ein Team des Jugendmagazins “Elf 99” des DDR-Fernsehens die ebenfalls vor sich hindrehenden Kollegen des Senders Freies Berlin mit der Frage nach der Pressefreiheit. “Wichtig ist, dass die Bürger das Gefühl haben, dass sie selbst in den Medien vorkommen. Ich glaube, das ist entscheidend”, sagt der Mann vom Sender (West). Und fügt nach einer kleinen Pause hinzu: “Ich denke, das ist der Grundsatz von Presse- und Meinungsfreiheit. Dass man als Journalist das hinterher einordnet, das gehört dazu. Aber solange die Bürger das Gefühl haben, sie kommen nicht vor, es ist nicht sozusagen ihre Wirklichkeit, die da widergespiegelt wird – das ist ja unser aller Problem. Das ist unser Problem genauso wie Ihres.”
Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass es sehr gut ist, dass es Sender wie 3sat gibt. Und dass sie sperrig-poetisch-anrührende Filme, wie Andreas Goldstein sie macht, produzieren und zeigen.