Es gibt Tage, an denen steht das Telefon im Büro von Grit Ohler kaum still. Dann heißt es tief durchatmen, eine Tasse Tee aufbrühen und freundlich weitermachen. Zwischen 350 und 400 Menschen lassen sich jedes Jahr von der Sozialarbeiterin beraten, weil sie dringend Hilfe bei der Pflege ihrer Angehörigen brauchen oder wissen möchten, wie sie im Alter möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben können. Seit über vier Jahren arbeitet Grit Ohler in der Beratungsstelle für Pflege und Demenz der Diakonie Recklinghausen. In dieser Zeit sind die Beratungsanfragen kontinuierlich gestiegen.
Unterstützung durch Familiengespräche
„Rund die Hälfte der Menschen kommen mit Fragen rund um das Thema Demenz“, erzählt die 57-jährige Sozialarbeiterin. Tatsächlich leben nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft heute rund 1,5 Millionen Demenzkranke in Deutschland. Jedes Jahr erkranken etwa 200 000 Menschen neu. Doch sie habe auch deshalb mehr zu tun, weil Angehörige ihre Scheu überwunden hätten, sich Hilfe zu holen, meint Grit Ohler. „Die Pflegekassen geben mehr Gelder für die Betreuung demenzkranker Menschen aus. Das hat sich zum Glück herumgesprochen.“
In der Beratungsstelle für Pflege und Demenz erhalten Angehörige nicht nur Tipps, wie sie eine Pflegestufe beantragen, wo sie Angebote der Tages- und Kurzzeitpflege finden oder wann stationäre Hilfen Sinn machen. Sie bekommen auch in Form von sogenannten Familiengesprächen Unterstützung. „Wenn Angehörige in der Betreuung ihres demenzkranken Partners oder der Eltern nicht mehr weiterwissen, komme ich zu ihnen nach Hause und berate sie dort in mehreren Gesprächen“, erzählt Grit Ohler.
Demenz ist das Spezialgebiet der Sozialarbeiterin. Neben vielen Fortbildungen über die Erkrankung hat sie auch eine Ausbildung in „integrativer Validation“ gemacht, einer Methode, um besser mit Menschen mit Demenz kommunizieren zu können. „Die Betroffenen leben in ihrer eigenen Welt und können mit ihren Angehörigen nicht mehr so reden, wie sie es gewohnt waren.“ Eine neue Kommunikation ist erforderlich. Doch die will gelernt sein.
„Wenn ein 83-jähriger Mann morgens zur Arbeit gehen möchte, bringt es nichts, ihm zu erklären, dass er schon längst in Rente ist“, sagt Grit Ohler. Das führe in der Regel nur zu Diskussionen und Verärgerung. Angemessener sei es beispielsweise, wertschätzend auf die damit verbundenen Gefühle und Bedürfnisse einzugehen und zu verstehen, was er mit der Arbeit verbunden hat. „Die Wahrnehmung dessen, was der Erkrankte zeigt, hier zum Beispiel Pflichtbewusstsein oder Verlässlichkeit, stehen bei der integrativen Validation im Vordergrund“, erklärt die Sozialarbeiterin. Angehörige werden diesbezüglich in mehreren Gesprächen beraten und begleitet.
Die Betreuung in solchen Fällen erfordert viel von den Angehörigen. Daher rät Grit Ohler ihnen, sich Entlastung zu holen. Die Diakonie Recklinghausen hat mittlerweile ein umfangreiches Angebot für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Es gibt spezielle Sport- und Musikangebote, einen häuslichen Entlastungsdienst, einen Tagestreff sowie Betreuungsgruppen, in denen Demenzkranke in einer Gruppe von nur acht Personen begleitet und mit kleinen Aufgaben gefordert werden.
Selbstständig leben, solange wie möglich
Einmal im Monat bietet die Diakoniestation unter dem Titel „Brain Walk“ einen besonderen Spaziergang an, der durch Bewegung, Gleichgewichts-, Ball- und Singübungen die Alltagskompetenzen fördern soll. Ähnlich wird auch in den Gedächtniskursen für Menschen mit beginnender Demenz und den „Life Kinetik“-Seminaren gearbeitet, die durch ein besonderes Bewegungsprogramm das Gehirn so fordern, dass sich neue Verknüpfungen zwischen den einzelnen Gehirnzellen bilden. Mittlerweile gibt es für diese Kurse eine lange Warteliste.
Mit gutem Grund. „Inzwischen kommen immer mehr ältere Menschen zu mir, die wissen möchten, wie sie sich fit halten können, um möglichst lange selbstständig zu bleiben“, erzählt die Sozialarbeiterin. „Demenz ist zwar nicht heilbar, aber wir wissen heute, dass wir einiges tun können, um auch mit einer Demenzerkrankung über einen längeren Zeitraum selbstständig zu leben.“