Wer heutzutage in ein Seniorenheim kommt, ist meist über 80 Jahre alt und lebt dort bis zu seinem Lebensende. Trotzdem sind die meisten Einrichtungen weder finanziell noch personell für eine gute Sterbebegleitung ausgestattet. Auch das neue Hospiz- und Palliativgesetz berücksichtigt die Altenheime kaum als würdevolle Sterbeorte, kritisiert der Pflegeexperte der Diakonie RWL, Rudolf Michel-Fabian, im Gespräch mit Sabine Damaschke.
Bei der Wuppertaler Diakonie arbeiten Hospizdienste und Altenheime eng zusammen, um den Bewohnern ein „würdiges Sterben“ zu ermöglichen. Sie kommen aus der Altenpflege. Wie haben Sie das Sterben in Heimen erlebt?
So unterschiedlich die Menschen leben, so unterschiedlich sterben sie auch. Das ist im Heim nicht anders als zuhause. Manche gehen dem Thema aus dem Weg oder wollen das Sterben mit sich ausmachen. Andere gehen offen mit dem Thema um. Manche benötigen Medikamente, weil sie Schmerzen haben, aber meist ist ein offenes Ohr für Ängste und Sorgen wichtiger. Dann helfen Zuhören und Gespräche und auch der Glaube kann helfen, seinen Frieden zu finden. Für die Mitbewohner ist es sehr wichtig, dass es Abschiedsrituale gibt und nicht einfach der Tischnachbar irgendwann fehlt und niemand spricht darüber.
Das vor einem Jahr verabschiedete Hospiz- und Palliativgesetz verpflichtet Heime zu einer Zusammenarbeit mit Hospizdiensten vor Ort. Gibt es inzwischen mehr stationäre Einrichtungen in der Altenpflege, die so arbeiten wie die Wuppertaler Diakonie?
Klar nutzen die Einrichtungen alle Möglichkeiten einer guten Sterbebegleitung. Allerdings müssen die Strukturen vor Ort auch vorhanden sein, und eine gute Sterbebegleitung im Heim geht auch nicht zum Nulltarif.
Die Wuppertaler haben einen Förderverein. Ein solches Pfund haben nicht alle und grundsätzlich ist da auch der Gesetzgeber in der Pflicht. Das fordert auch die Wuppertaler Diakonie und benennt dazu in ihrer „II. Wuppertaler Erklärung“ (auszugsweise abgedruckt unter http://www.altenhilfe-wuppertal.de/fileadmin/downloads/News/hospiz_Artikel_Altenheim.pdf – Anmerkung der Redaktion) konkrete Zahlen. Die Erfahrung dort zeigt zum Beispiel, dass für 20 Bewohner eine ausgebildete Palliativkraft nötig ist.
Rund 30 Prozent der Menschen in Deutschland sterben in Altenheimen, nur vier Prozent in Hospizen. Dennoch profitieren die Heime kaum von dem neuen Gesetz, das die medizinische und pflegerische Versorgung am Lebensende mit jährlich rund 200 Millionen Euro zusätzlich verbessern möchte. Woran liegt das?
Wenn wir heute über die Notwendigkeit von Hospiz- und Palliativversorgung reden, denken wir meist an schwerstkranke Menschen, die unter Schmerzen leiden und die deswegen medizinische Hilfe benötigen. Diesen Menschen stehen Hospize offen. Das ist gut so und es ist auch gut, dass sich die Bedingungen dort verbessern. Weit mehr Menschen sterben aber ohne schwere Krankheitsdiagnose im Heim und trotzdem brauchen auch sie eine mehr oder weniger intensive Begleitung. Die Gesetze haben das nicht berücksichtigt. Damit spart der Gesetzgeber natürlich auch Geld für das dort benötigte „Mehr“ an Personal.
Getreu dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ kommen die meisten alten Menschen erst dann in ein Heim, wenn gar nichts mehr geht. Die Altenheime sind zu Sterbeorten geworden, haben aber – im Gegensatz zu den Hospizen – ein deutlich schlechteres Image. Was muss passieren, damit sich das ändert?
Das Heimimage ist zu Unrecht schlecht. Es ist meist von vagen Vorstellungen und von Missstandsberichten geprägt. Wer sich heute ein Altenheim ansieht, wird ganz andere Eindrücke bekommen und sehen, mit wie viel Engagement und Ideen dort gearbeitet wird. Der Unterschied zum Hospiz ist allerdings deutlich: Im Heim wird man sehr viel weniger Personal antreffen. Die Diakonie setzt sich dafür ein, dass sich das ändert, allerdings scheint der Gesetzgeber auf diesem Ohr taub zu sein.
Unter dem Dach der Diakonie RWL gibt es rund 450 stationäre Einrichtungen der Altenpflege. Was sind ihre größten Herausforderungen für die Zukunft?
Die größte strukturelle Herausforderung ist die demographische Entwicklung in Deutschland mit einer sinkenden Zahl an Erwerbstätigen und gleichzeitig steigenden Zahl von Pflegebedürftigen. Ganz klar gewinnt dabei auch das Thema Sterben und Sterbebegleitung weiter an Bedeutung. Die größte inhaltliche Herausforderung ist dabei, sich auf jeden Menschen immer wieder neu einzulassen. Besonders in der Phase des Sterbens ist das von besonderer Bedeutung, weil diese letzte Lebensphase vielleicht die wichtigste für ein gelingendes Leben ist.