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Als Los Angeles explodierte

Vor 30 Jahren zeigte das Rodney-King-Video erstmals Polizeigewalt in den USA

Washington/Los Angeles (epd). Es war die Zeit vor dem Smartphone: Vor 30 Jahren hat in den USA erstmals ein Amateurfilmer rassistische Polizeigewalt bei einer Festnahme aufgenommen. Das «Rodney King Video» vom 3. März 1991 stellte bloß, was Opfer gewalttätiger Polizisten lange wussten und viele andere nicht glauben wollten oder konnten. Doch die Macht der Bilder hat das Machtverhältnis zwischen
Uniform und Zivil in den USA bis heute nicht grundlegend verändert.

   Der Scheinwerfer des Polizeihubschraubers erleuchtet die Straße in Lake View Terrace im kalifornischen Los Angeles. Man sieht einen weißen Pkw und drei Polizisten, die auf einen Mann einprügeln. Ein vierter schaut offenbar zu, er leitet den Einsatz. Im Hintergrund stehen weitere Beamte. Es ist kurz nach Mitternacht. Ein Anwohner filmt die Szene mit seinem neuen Camcorder.

   Das Internet steckte vor 30 Jahren in den Kinderschuhen. Der Filmer, ein Klempner namens George Holliday, brachte sein Video darum zum örtlichen Fernsehsender KTLA. Bald lief der Film weltweit bei CNN, wo wenige Tage zuvor das Ende des Golfkrieges die Redaktion beschäftigt hatte. Hollidays Aufnahme entsetzte die Zuschauer: Rund 50 Mal schlugen die Polizisten auf ihr Opfer ein. Der Mann lag auf
der Straße, versuchte aufstehen. Am Ende wurden ihm Handschellen angelegt.

   Der Mann hieß Rodney King, er war Bauarbeiter und Afroamerikaner. Es war Wochenende, King hatte mit Freunden Basketball geschaut und Bier getrunken. Nach der Party setzte er sich in sein Auto und fuhr los, sehr schnell. Das fiel einer Polizeistreife auf. Sie verfolgte den Hyundai mit bis zu 180 Stundenkilometern. Nach etwa zwölf Kilometern hielt King an. Den Rest sieht man auf dem Video. King habe sich der Festnahme widersetzt, hieß es später zur Begründung. Die Schlagstöcke waren aus Metall.

   Die Polizei von Los Angeles hatte schon vorher einen denkbar schlechten Ruf in ärmeren Vierteln, wo viele Afroamerikaner und Latinos lebten. Angeblich um Gangs zu bekämpfen, lief seit Jahren die sogenannte «Operation Hammer», bei der Zehntausende junge Menschen aus schwarzen und Einwandererfamilien kontrolliert, durchsucht und festgenommen wurden.

   Die drei prügelnden Polizisten und Einsatzleiter Stacey Koon kamen vor Gericht. Ein Schuldspruch schien sicher – schließlich gab es das Video. Man könne die Schläge nicht «wegerklären», kommentierte der damalige Präsident George H. W. Bush: «Es war unerhört». Statt dessen lautete das Urteil am 29. April 1992: Freispruch.

   Los Angeles explodierte. Die gewalttätigen Proteste dauerten mehrere Tage lang, Geschäfte wurden geplündert, die Nationalgarde und das Militär rückten aus. Mehr als 50 Menschen kamen bei den «Los Angeles Riots» ums Leben, Tausende wurden verletzt.

   Der Rassismus bei der Urteilsfindung war nicht zu übersehen: Auf Antrag der Verteidigung war der Prozess in den weißen und konservativen Vorort Simi Valley verlegt worden. Fast alle Geschworenen waren weiß. Die Verteidigung machte geltend, das Video erzähle nicht die ganze Geschichte. Es fehlten die ersten Sekunden mit Kings angeblich aggressivem Verhalten. Einer der Geschworenen erläuterte Jahre später im Fernsehsender ABC: Das Verhalten der Polizisten auf dem Video habe einen schlechten Eindruck erweckt, doch sei nicht gesetzwidrig. «Ich konnte sie nicht schuldig sprechen, weil sie in meinen Augen taten, was sie tun sollten.»

   30 Jahre später kommen in den USA noch immer die meisten Polizeibeamten in Fällen von Polizeigewalt und tödlichem Schusswaffengebrauch ungestraft davon. Der Kriminologe und ehemalige Polizist Philip Stinson hat sich in seinem Buch «Criminology Explains Police Violence» (2020) mit der häufigen Straflosigkeit befasst. Polizisten seien befugt, «zur Festnahme nötige Gewalt» einzusetzen, erklärt er. Es sei oft schwierig zu beweisen, wo die Grenze der «nötigen» Gewalt übertreten werde. Hinzu kommt: Polizisten sagten ungern gegeneinander aus.

   Im Fall Rodney King gab es 1993 ein zweites Verfahren, bei dem es um die Missachtung von Kings bürgerlichen Rechten ging. Hier wurden Einsatzleiter Koon und einer der Polizisten zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt. Ein Gericht sprach King außerdem 3,8 Millionen Dollar Wiedergutmachung zu.

   Einer der Polizei-freundlichen Zeugen in diesem Schmerzensgeld-Prozess war ein Experte namens Greg Meyer. Er vertrat die Auffassung, die Polizei habe «keine übermäßige Kraft» angewendet. Meyer, ein gerichtlich anerkannter Sachverständiger, hat in diesem Jahr einen neuen Prozess auf dem Terminkalender: Er soll laut
Zeitungsberichten für einen der Polizisten aussagen, die im Mai 2020 beim Tod des Afroamerikaners George Floyd in Minneapolis dabei waren. Ein weißer Polizist hatte sein Knie minutenlang auf den Hals des am Boden liegenden Floyd gedrückt. Das Video von Floyds Tod rief weltweit Entsetzen hervor.

Rodney King wurde 47 Jahre alt. Im Juni 2012 fand man ihn tot in seinem Swimmingpool.