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„Alles – nur nicht wegdrehen“

Die Zeit heilt alle Wunden, bekommen Trauernde oft zu hören. Doch so einfach ist es nicht. Kollegen, Nachbarn und Freunde können helfen, einen Weg aus der Trauer zu finden – und sollten eine Sache auf jeden Fall vermeiden: den Kontakt abbrechen

hedgehog94 - stock.adobe.com

Noch immer steht an der Straße zwischen Bremen und Worpswede das Kreuz, das an den Tod von Jana Paladji erinnert. Im Juni 1997 starb die damals 16-Jährige bei einem Verkehrsunfall, der noch zwei weitere junge Menschen in den Tod riss. „Sie war plötzlich nicht mehr da, das hat mich apathisch gemacht“, erinnert sich ihre Mutter Wilma Paladji (67). Die Geschehnisse von damals hat sie heute, mehr als 21 Jahre später, noch immer vor Augen. „So, als ob es gestern gewesen wäre.“ Ihr Sohn und ihr Lebensgefährte waren es, die ihr in ihrer Trauer von Anbeginn an am engsten zur Seite standen.

Von einem Moment auf den anderen: alles anders

Aber auch wildfremde Menschen kondolierten per Brief, Nachbarn klingelten an ihrer Haustür, die Familie rückte zusammen. „Das hat mir alles gut getan.“ Verletzend waren andere Erfahrungen. „Meine besten Freunde sind mir ausgewichen. Kein Brief, keine Karte, kein Wort an der Tür. Das tat mir weh – und tut es noch.“
Dass es Menschen gegeben habe, die auf die andere Straßenseite gewechselt seien, habe sie besonders geschmerzt. „Alles – nur nicht wegdrehen“, sagt sie heute. Auch der örtliche Pastor sei mit Blick auf die Seelsorge ein Totalausfall gewesen.
Den sozialen Kontakten im Umfeld eines Trauernden komme eine zentrale Bedeutung zu, sagt Psychologin Gerlinde Geiss-Mayer aus Bad Zwischenahn bei Bremen. „Das soziale Netz ist eine der entscheidenden Ressourcen, um wieder in das Leben zu kommen.“ Sie rät: „Anrufen, eine Karte schreiben, eine Suppe kochen und vorbeibringen, das Beet durchjäten, den Rasen mähen, mit dem Trauernden einen Spaziergang machen – das alles bedeutet Teilhabe am Leben.“ Umgekehrt: Bricht jemand den Kontakt zu einem Trauernden ab oder weicht ihm aus, so beschreibt es Geiss-Mayer, „kann das fast wie ein zweiter Tod, ein sozialer Tod, erlebt werden“.
Auch die Ehefrau von Karsten Behrens (Name geändert) war von einem Moment auf den anderen nicht mehr da. „Am Vorabend haben wir noch darüber geredet, was wir am Wochenende unternehmen wollen“, erinnert sich der 63-Jährige. Vor fast genau sechs Jahren starb sie in Bremen nach einem Sturz mit dem Rad, schlug mit dem Kopf so unglücklich auf, dass sie nicht überlebte. Nach fast 25 Jahren Partnerschaft ein jähes Ende. „Sie ist einfach nicht wiedergekommen, das war entsetzlich. Das wirkt nach, sie ist immer präsent“, sagt Behrens.
Sein Umfeld war entsetzt – und sofort zur Stelle. Ein Freund nahm ihn zeitweise auf, damit er nicht alleine in seiner Wohnung bleiben musste. An Arbeit war zunächst nicht zu denken. „Die ersten Wochen sind wie im Nebel verschwunden“, beschreibt es Behrens. Sein Chef besuchte ihn damals zu Hause, das Kollegium erledigte wie selbstverständlich seine Aufgaben. Nach einem gelben Schein wurde nie gefragt. „Ich habe die Beerdigung organisiert und einen Grabstein besorgt. Aber wie ich das damals gemacht habe – ich weiß es nicht mehr.“
Jugendliche, mit denen seine Frau dienstlich zu tun hatte, richteten eine Internetseite ein, um an sie zu erinnern. „Gespräche, Karten und Briefe haben mir über die Zeit hinweggeholfen“, betont Behrens.
Der Tod seiner Frau habe sein Leben auf den Kopf gestellt. „Nichts ist wie vorher.“ Ihm wurde klar, wie wichtig seine Freunde und vor allen auch seine Stieftochter auf der Suche nach einem neuen Lebensweg waren und noch sind. Aber er wollte sie auch nicht überlasten und suchte professionelle Hilfe in einer Einzeltherapie: „Das hat mir geholfen, mein Leben neu einzurichten. Man sollte auf keinen Fall glauben, das kriegt man schon alleine hin.“
Einen neuen Lebensweg zu erschließen, sei eine anspruchsvolle und langwierige Aufgabe, das weiß auch Psychologin Geiss-Mayer. „Das ist wie eine Schneise, die man durch einen Urwald schlägt.“ Und Wilma Paladji sagt: „Die Zeit heilt eben doch nicht alle Wunden. Der Schmerz um Jana wird immer bleiben, bis zu meinem Tod.“
Ihr half der Anschluss an eine Selbsthilfegruppe des Bremer Vereins für verwaiste Eltern. „Da konnte ich über alles sprechen. Wir treffen uns heute noch, sind auch zusammen in Urlaub gefahren.“
Sich zu verkriechen, das wäre für sie keine Lösung gewesen: „Dann wäre ich geplatzt.“ Sie habe auch nie aus der Gegend wegziehen wollen, in der der Unfall passiert sei. Erinnerungen, sagt Paladji, hätten für sie etwas mit Heilen zu tun. Und: „Das ist meine Erde hier, meine Heimat.“ Als großes Glück empfindet sie die beiden Enkelkinder, die mittlerweile geboren sind. „Das zeigt mir: Es geht weiter, es bleibt nicht stehen.“

Die begrenzte Lebenszeit gut nutzen

Karsten Behrens ist mit Rentenabschlag früher aus dem Job gegangen, widmet sich jetzt dem, was für ihn persönlich zentral ist. Dazu gehört sein Freundeskreis. „Wir verreisen, gehen spazieren, hören Konzerte, gehen in die Kneipe, reden, worüber wir uns freuen und worüber wir uns ärgern.“ Auch sein Engagement im Umweltschutz ist ihm wichtig. „Mir kommt es darauf an, dass ich meine Lebenszeit so nutzen kann, dass ich ein gutes Gefühl damit habe. Mir ist klar geworden, wie begrenzt das Leben ist.“

„Die Zeit der Trauer – Eine Hilfe für Trauernde und Begleitende“ heißt eine Broschüre der Diakonie Deutschland und des Krebsverbandes Baden-Württemberg, bestellbar unter vertrieb@diakonie.de und info@krebsverband-bw.de. Infos im Internet: www.trauernetz.de; Gedenkseiten für Verstorbene: