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Albaniens Polit-Urgestein Berisha hofft bei Wahl auf Comeback

Fast die Hälfte der Albaner arbeitet im Ausland. Das liege am korrupten System von Ministerpräsident Rama, meint Kandidat Sali Berisha. Er hofft auf einen Wahlsieg am Sonntag, steht aber auch selbst im Zwielicht.

Aus dem Bild im Bücherregal blickt “Nënë Tereza”: Albaniens Nationalheldin, Mutter Teresa. Beistand von oben? Den könnte der Eigentümer des Büros tatsächlich brauchen, will er mit seiner Partei die Parlamentswahl am Sonntag gewinnen. Sali Berisha, früherer Präsident und Ministerpräsident Albaniens, will mit 80 Jahren noch einmal Regierungschef werden – und die Massenabwanderung junger Albaner in den Westen stoppen.

Berisha trägt eine Smartwatch. Die moderne Uhr täuscht darüber hinweg, dass hier ein politisches Urgestein auf sein Comeback hofft: Einst selbst Mitglied bei den Kommunisten, avancierte der studierte Kardiologe Anfang der 1990er zum Oppositionsführer. Und sagte der kommunistischen Diktatur, die die Albaner fast ein halbes Jahrhundert unterdrückt hatte, den Kampf an. 1992 wurde er Präsident, der erste Nicht-Kommunist seit fünf Jahrzehnten. Mit seiner Demokratischen Partei (PD) sei es ihm gelungen, die “schlimmste Diktatur, die Europa seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat”, zu beenden, resümiert er.

Heute sieht er sich erneut auf einer Mission: Er wolle “jedem jungen Albaner die Möglichkeit auf ein besseres Leben bieten. Denn kein anderes Land hat so viele seiner Bürger verloren”, sagt Berisha der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Schätzungen zufolge leben mehr als 1,2 Millionen Albaner im Ausland, das sind 44 Prozent der Bevölkerung. Die Ursache für Albaniens “Brain Drain”, also Abwanderung qualifizierter Fachkräfte, hat Berisha schnell ausgemacht: Es seien Korruption und organisiertes Verbrechen, gelenkt von Ministerpräsident Edi Rama und dessen “Oligarchen”, die junge Albaner nach Berlin, Wien und andere westliche Hauptstädte auswandern ließen.

Doch ist ein 80-Jähriger der Richtige, um eine junge Nation, die in den kommenden Jahren der EU beitreten will, neu zu erfinden? Er selbst ist überzeugt: “Meine Erfahrung wäre ein gesundes Werkzeug für meine Nation.” Aber Ardian Hackaj, Forscher am Cooperation and Development Institute, einem Thinktank in Tirana, hat Zweifel: Berisha sei der “richtige Mann für den Augenblick”, um Wähler zu mobilisieren.

Dafür engagierte seine Partei sogar den US-Wahlkampfstrategen Chris LaCivita, der Donald Trump mit zum Sieg verhalf – inklusive MAGA-ähnlicher Kampagne unter dem Motto “Make Albania Great”. “Langfristig sehe ich Berisha jedoch nicht mehr in einer Führungsposition”, sagt Hackaj der KNA. Ihm zufolge täte die alte DP-Garde gut daran, das Feld für eine Generation junger, qualifizierter und proeuropäischer Politiker freizumachen.

Ermal Hasimja, Politologe in Tirana, vermutet andere Motive hinter Berishas Anlauf: “Es ist eher ein persönlicher Rachefeldzug und der Versuch, Immunität zu erlangen, statt ein Engagement im öffentlichen Interesse.” Albaniens Sondereinheit gegen Korruption und organisierte Kriminalität hat Berisha im Visier. Er steht im Verdacht, sein Amt missbraucht zu haben, um seinem Schwiegersohn zu Grundstücken in der Hauptstadt Tirana zu verhelfen. Die Biden-Regierung setzte ihn deshalb auf die US-Sanktionsliste.

Während viele Experten Albaniens jüngste Maßnahmen im Kampf gegen Korruption loben, wittert Berisha, der zuletzt mehrere Monate unter Hausarrest stand, eine politische Hexenjagd: Unter Ramas Regierung gebe es keine Gerechtigkeit, keine unabhängige Justiz.

Vier Jahrzehnte nach dem Tod von Diktator Enver Hodscha breitet sich in Albanien der Populismus aus. Davon zeugen auch die Wahlversprechen der regierenden Sozialistischen Partei (PS). Für seine mögliche vierte Amtszeit kündigte Ministerpräsident Rama an, den Durchschnittslohn bis 2030 auf 1.200 Euro zu steigern, ähnliches versprach er für Renten. Dazu Hackaj: “Mir sind bisher keine wirtschaftlichen Einschätzungen untergekommen, die seine Zahlen untermauern würden.” Realistischer sei da schon Ramas Vision, sein Land bis 2030 in die EU zu führen.

Ebenfalls als populistische Maßnahme verbuchen Beobachter den jüngsten Bann von Tiktok in Albanien. Die Regierung begründete das Verbot mit dem Mord an einem Schüler, der das Opfer von Hetze auf der Plattform geworden sein soll. Kritiker sprechen von Zensur.

Oppositionsführer Berisha rief wegen des Tiktok-Verbots zu Protesten auf. Spannend wird, ob er eine mögliche Niederlage am Sonntag anerkennt. Schließlich will er “massenhaft Beweise” gesammelt haben, die auf Stimmenkauf durch “Ramas Mafiosi” hindeuten. Das Büro des Ministerpräsidenten reagierte nicht auf Anfragen der Redaktion.