Einen „Akt des Krieges“ nannte Matteo Salvini die Lage auf Lampedusa in den vergangenen Tagen immer wieder. Innerhalb von nur 24 Stunden waren am Dienstag mehr als 100 Boote mit etwa 5.000 Migranten darin auf der italienischen Mittelmeerinsel angekommen. Zeitweise mussten rund 7.000 Migranten gleichzeitig auf Lampedusa mit dem nötigsten, vor allem Essen und Trinken, versorgt werden. Die Stadtverwaltung rief den Notstand aus.
„100 Boote an einem Tag, das kann kein Zufall sein“, sagte der Chef der rechtspopulistischen Lega und Vize-Premier Italiens am Mittwoch vor Journalisten in Rom. Dies sei eine organisierte und finanzierte Aktion, um den italienischen Staat zu schwächen. Er schließe nichts mehr als Reaktion auf die massenhaften Ankünfte von Migranten in Italien aus. Eine vage Ankündigung, die er am Donnerstagabend in einem Interview des Senders Rete4 konkretisierte: Italien werde alle notwendigen Mittel auf See und an Land einsetzen. Und: „Ich schließe den Einsatz der Marine nicht aus.“
Zahlen von Migranten steigen immer weiter
Damit wendet er sich auch gegen seine mächtigste Koalitionspartnerin, Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von den ultrarechten Fratelli d’Italia. Die war im Wahlkampf vor genau einem Jahr mit dem Versprechen angetreten, die Migration über das Mittelmeer nach Italien zu stoppen. Die Absichtserklärung, beim Thema Migration enger zusammenzuarbeiten, die die EU und Tunesien am 15. Juli in Tunis geschlossen haben, hat Meloni zu Hause als großen Erfolg ihrer Regierung verkauft.
Doch die Zahlen steigen immer weiter. Am Freitagmorgen meldet das italienische Innenministerium 127.207 Migranten, die dieses Jahr über das Mittelmeer nach Italien gekommen sind. Im gesamten Jahr 2012 waren es 105.131. Nachdem Meloni die Politik ihrer rechten Regierungskoalition nach der Sommerpause noch verteidigte, grätschte ihr Salvini nun direkt rein: „Die Straße der Diplomatie hat uns nirgendwohin geführt“, sagte der Lega-Chef.
Europawahlkampf hat begonnen
Alles Anzeichen dafür, dass der Europawahlkampf in Italien in dieser Woche begonnen hat – und die kommenden Monate für die Koalitionspartner nicht einfach werden. Gewählt wird im Juni 2024. Salvini lässt derzeit keine Möglichkeit aus, zu betonen, dass er die Migration mit seinen harten Gesetzen einst besser im Griff hatte als seine derzeitige Chefin. Von Juni 2018 bis September 2019 war er Innenminister in der Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte, und hat mit etlichen Sicherheitsdekreten vor allem die Rettungsaktionen privater Seenotretter erschwert. Die Zahlen waren damals tatsächlich niedriger. 2018 waren etwa 24.000 Migranten über das Mittelmeer nach Italien gekommen.
Dass die rechten Regierungsparteien Italiens nicht gemeinsam in den Europawahlkampf ziehen werden, scheint auch wegen ihrer Partner klar: Salvinis Lega sitzt im Europaparlament derzeit unter anderen mit den Abgeordneten der AfD und des französischen Rassemblement National von Marine Le Pen in der Fraktion Identität und Demokratie. Melonis Fratelli d’Italia gehören der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer an, wie auch die Abgeordneten der polnischen PiS und der spanischen VOX.
Zusammenarbeit der Fratelli d’Italia?
Salvini hat bereits verkündet, dass er nach der Europawahl eine Vereinigung der rechtsnationalen Parteien anstrebt. Doch nicht nur die Migration, auch die russlandfreundlichen Haltungen der AfD oder des Rassemblement National im Ukrainekrieg lassen eine Zusammenarbeit der Fratelli d’Italia in einer gemeinsamen Koalition unrealistisch erscheinen.

Außerdem wird Giorgia Meloni bereits von anderer Seite umworben, die für sie sehr viel lukrativer ist: Manfred Weber (CSU), der Vorsitzende der konservativen Europäischen Volkspartei, hat einem Bündnis mit Melonis Partei keine grundsätzliche Absage erteilt. Im Gegenteil: Er könnte sie noch brauchen, um seine Fraktion auf dem ersten Platz vor den Sozialdemokraten zu halten und damit erneut den Posten der Kommissionspräsidentin für seine Fraktion beanspruchen zu können. Und Meloni könnte durch ihn den Stempel der Postfaschisten loswerden.