Als vor 80 Jahren kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges die US-Soldaten der 45. Infanterie-Division Nürnberg erreichten, stießen sie auf erbitterte Gegenwehr. Während beispielsweise Hamburg oder München bei der Ankunft der Alliierten die weiße Fahne hissten, wurden die erfahrenen GIs vom Widerstand der damaligen Stadt der Reichsparteitage überrascht.
Zwei Kompanien versuchten vergeblich, über das südöstliche Frauentor gegenüber dem Hauptbahnhof die Stadtmauer zu überwinden. „Für die Verteidigung boten die Nazis alles auf, was sie konnten“, berichtet die Nürnberger Historikerin Susanne Rieger. Neben Scharfschützen und SS wurde der Volkssturm mit Alten und Jugendlichen aufgeboten, Frauen erhielten eine schnelle Einführung an der Panzerfaust. „Es war Wahnsinn und purer Fanatismus“ sagt die Historikerin. „Das war ein Ende mit Schrecken.“ Am 16. April 1945 erreichten die Soldaten Nürnberg, die Kämpfe endeten nach einem blutigen Häuserkampf erst am 20. April.
Generell sind die Anfänge des Nationalsozialismus und die Kriegsjahre gut dokumentiert und erforscht. Die sogenannte Endphase des Zweiten Weltkrieges hat dagegen viele weiße Flecken. So beziffert Rieger die mögliche Zahl der Opfer bei der Befreiung Nürnbergs „mit aller Vorsicht“ auf 900 Opfer, darunter 140 GIs. Es gebe hier keine amtlichen Statistiken, sondern bestenfalls Schätzungen.
Die Historikerin betritt mit ihrer vierteiligen Führungsreihe unter der Überschrift „Tage des Donners“ zum Nürnberger Kriegsende geschichtliches Neuland. Sie konzentriert sich bei ihren Rundgängen ausschließlich auf historische Fakten und nicht auf die politische Einordnung. Grundlage ist das Buch „The Story oft the 180th Infantry Regiment“, das 1947 im US-amerikanischen Oklahoma erschienen ist. Rieger hat es für ihre Transiturs Stadttouren als Erste aufbereitet. Als Wappentier des Regiments diente der Donnervogel, der so auch Namenspatron der Themenführungen „Tage des Donners“ wurde.
Auf der Basis des antiquarischen Regimentsbuchs konnte Rieger unter anderem das Leben von Leutnant William F. Philips aus Texas nachzeichnen und gibt ihm so ein Gesicht. Der Postbote wurde 1944 zur 45. Infanterie-Division versetzt. „Er litt an Heimweh und schrieb täglich Briefe an seine junge Frau.“ Philips gehörte zur K-Kompanie, die am 16. April vergeblich versuchte, das Königstor zu stürmen. Danach griff die Kompanie etwas weiter nördlich über die Wöhrder Wiese an. „Sie waren praktisch ohne Schutz für den Abschuss freigegeben, da ist auch Philips gefallen.“ Überall hätten Leichen gelegen, sagt Rieger.
Auch 80 Jahre nach den beiden vergeblichen Attacken finden sich in der Frauentoranlage zahlreiche Einschusslöcher der Infanteriegewehre. Heutzutage strömen hier täglich tausende Bewohner und viele Touristen vorbei, ohne die Spuren zu beachten. „Damals herrschte hier ein Knallen und Schießen.“
Der Captain einer dritten Kompanie verzichtete auf einen weiteren Versuch. Seine Kundschafter hatten das Sterntor in der Nähe als Ziel ausgekundschaftet und konnten so durch die Stadtmauer eindringen. Damit war der Widerstand der Nürnberger längst nicht gebrochen. In der größtenteils bereits in Schutt und Asche liegenden Altstadt lauerten weiterhin Heckenschützen in Trümmerhaufen oder in Kellerschächten. Vom ersten bis zum letzten Tag habe die „Kampfmoral“ angehalten, berichtet Rieger. Kapitulationsangebote der Amerikaner seien ausgeschlagen worden. Selbst Kinder und Greise seien als Kundschafter zu den GI’s geschickt worden, um danach das Feuer zu eröffnen.
Um das Germanische Nationalmuseum wurde genauso gekämpft wie um die strategisch gut gelegene Lorenzkirche oder um die damalige Hindenburg-Hochschule, in der noch ein Munitionsdepot untergebracht war. „Viele Nürnberger nennen es noch heute Verteidigung und nicht Befreiung“, konstatiert Rieger. Erst am 20. April erreichten die Amerikaner den Hauptmarkt, der damals Adolf-Hitler-Platz hieß. Fotos von der dortigen Parade zeigen erschöpfte Sieger. „Mit einem so starken Widerstand hatten sie nicht gerechnet.“