Die meisten Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen, stammen aus islamischen Ländern. Vielen Deutschen ist ihre Kultur fremd. Auch ihre heilige Schrift, den Koran, dürfte kaum jemand schon mal zur Hand genommen haben. Dabei kann das Wissen über ihn auch eine Verständnishilfe für den Dialog mit Muslimen sein, findet der Schweizer Theologe und interkulturelle Berater Kurt Beutler. Mit „99 Überraschungen im Koran“ hat er nun eine solche Hilfe verfasst.
„Ziel dieses Buches ist es nicht, den Koran auszulegen oder jemandem vorzuschreiben, wie er diesen zu verstehen hat“, stellt Beutler, mit einer Ägypterin verheiratet und mit vielen Muslimen befreundet, klar. Er versteht sich als „Brückenbauer“, möchte „zum Weiterdenken anregen“.
Manches im Koran wird durch die Bibel deutlich
Zu den positiven Überraschungen zählt der Theologe verbindende Vorstellungen, etwa von der Einheit Gottes. Auch finden sich viele Verweise auf die Bibel, auf Abraham, Jesus und Maria. Ja, der Koran spreche „mit höchstem Respekt“ von der Bibel und fordere Muslime dazu auf, an sie zu glauben.
Manches im Koran werde erst verständlich durch den Griff zur Bibel, schreibt Beutler. Denn der Koran ist nach keinem zeitlichen Ablauf geordnet, sondern in absteigender Reihenfolge nach der Länge der Suren. Dabei fehle vieles, „das man gerne wissen möchte“ – etwa darüber, auf welche Situation sich welche Verse genau beziehen. Manches werde nur angedeutet, viele Details nicht erwähnt, analysiert der Autor. Das gebe reichlich Raum für die Auslegung und Meinungsunterschiede, auch unter Muslimen selbst.
Auch aus einem anderen Grund ist es aus Beutlers Sicht „extrem schwierig, den Koran richtig zu verstehen“: Die Schrift wurde in altem Arabisch verfasst, das sich von der heutigen Sprache unterscheidet, viele Worte sind zudem mehrdeutig. Die meisten Muslime seien keine Araber, und deshalb auf Vertrauenspersonen – und deren Interpretation – angewiesen, die des Arabischen kundig sind. „So kann jeder ihn auslegen, wie es ihm gefällt, und man kann ihn nicht widerlegen. Das ist sicher nicht unbedenklich, zumal auch die Terroristen ihren Nutzen aus dieser Situation ziehen.“
Zu den Überraschungen zählt der Theologe, dass Mohammed die 114 Suren des Koran nicht von Gott, sondern über einen Mittler, den – ihm gegenüber wenig freundlichen – Engel Gabriel, erhalten hat. Mohammed selbst versteht sich als jemand, „der nur wiederholt und neu formuliert, was andere schon vor ihm gesagt haben“. Eine persönliche Gottesbeziehung sucht man im Koran vergebens. Nur in einer nicht näher genannten Nacht im Jahr öffne sich der Himmel und Gebete würden erhört. Dabei zählt Barmherzigkeit zu den am häufigsten erwähnten Eigenschaften Gottes im Koran.
Zugleich zeigt Beutler Widersprüche und extrem Irritierendes auf. Denn neben Appellen zur Barmherzigkeit finden sich Höllendrohungen, Verfluchungen, Rassismus, Aufrufe zu Eroberungskriegen und zum Töten vermeintlich Ungläubiger sowie Rache auf göttlichen Befehl. „Während sich der Islam als die Religion des Friedens bezeichnet, besteht der einzige Weg, um garantiert ins Paradies zu kommen, im Tod, im Krieg“, stellt der Theologe fest. Dabei heiße es an anderer Stelle, dass jeder dem Höllenfeuer ausgesetzt werde.
Dank dieser Ausführungen beginnt man zu verstehen, wie unterschiedlich manche Vorstellungen von Muslimen und Christen sind. Beutler liefert in seinen 99 Kapiteln kurzweilig präsentiertes Wissen über den Koran, das eine Hilfe sein kann, miteinander ins Gespräch zu kommen, „ohne die Unterschiede unter den Teppich zu kehren“. Der Autor will die Religion verstehen, „das Positive in ihr suchen und Muslimen weiterhin respektvoll begegnen“. Bei allen Unterschieden und irritierenden Positionen wirbt Beutler für die Einsicht, „dass kein sterblicher Mensch den unendlichen Gott völlig begreifen kann“.
Der Dialog mit Muslimen gelingt aus seiner Sicht „nicht bei Fernsehdiskussionen, sondern auf der persönlichen Ebene“. Wenn es „durch Liebe und Ehrlichkeit gelingt, den Respekt eines Muslims zu gewinnen, dann ist die Chance gegeben, dass er mir auch zuhört, wenn ich Dinge sage, die er normalerweise ablehnen würde“, erläutert er. Beutler meint aber auch ein Umdenken bei den Neuankömmlingen aus islamischen Ländern zu vernehmen. Die meisten Asylbewerber seien vor anderen Muslimen, vor islamischen Terroristen, geflohen. „Helfen tun ihnen aber Europäer, die sie eigentlich für bösartig und falsch hielten. Da hat manch einer insgeheim schon begonnen, sich zu fragen, ob wirklich alles am Islam so sei wie er es von klein auf immer gehört hatte.“