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3sat-Doku über eine wenig bedachte Folge der Digitalisierung

Soziale Bedürfnisse wie Berührungen sind für Menschen genauso wichtig wie Nahrung und Sicherheit. Zugleich nutzen die meisten Smartphones. Welchen Einfluss letztere auf unsere Beziehungen haben, zeigt eine 3sat-Doku.

Die Digitalisierung umfasst inzwischen fast alle Lebensbereiche – sogar das Kuscheln. Den Einfluss der Digitalisierung auf das menschliche Grundbedürfnis nach Berührung beleuchtet die Dokumentation “Liebe und Bindung – “Wie das Smartphone unsere Beziehungen gefährdet”. 3sat sendet den Beitrag aus der Reihe “WissenHoch2” am 6. Februar um 20.15 Uhr.

Die Hamburger Filmemacherin Liv Thamsen hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt. Schließlich ist Bindung zu anderen Menschen – von der Geburt bis ins hohe Alter – ein fundamentales Element des Lebens. Längst aber ist das Smartphone in Familie, Partnerschaft und unter Freunden allgegenwärtig. Im Film geht Thamsen, die auch schon Dokus über “Die Macht der Superreichen” (ZDF) und “Panorama – Abzocke mit Esoterik” (ARD) gemacht hat, der Frage nach, ob und wie permanente Online-Präsenz zwischenmenschliche Beziehungen gefährdet.

Für Eltern ist es ein unbeschreibliches Glücksgefühl, ihr Baby direkt nach der Geburt auf der eigenen Haut zu spüren. Auf der Wochenbettstation in Herisau (Schweiz) wird seit drei Jahren erfolgreich das Haut-auf-Haut-Konzept vermittelt: Durch engen Körperkontakt wird so schon in den ersten Stunden des Lebens das Kuschelhormon Oxytocin ausgeschüttet. Der Botenstoff stärkt Vertrauen und schafft eine ideale Voraussetzung für den Säugling, der ein angeborenes Bedürfnis nach dem Aufbau einer sicheren Bindung hat. Das Filmteam besucht die Wochenbettstation, wo der Kinder- und Jugendpsychiater und Bindungsforscher Karl-Heinz Brisch sagt: “Wenn ein Baby dieses innere Gefühl, dieses Urvertrauen, so im Laufe des ersten Lebensjahres innerlich verankert, dann kann es von da ausgehend die Welt erobern.”

Problematisch wird es, wenn Eltern ihr eigenes digitales Verhalten nicht im Blick haben, und so die frühkindliche Bindung stören. Im Film vorgestellt wird der “Smart Baby Test” an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg. Das wissenschaftlich begleitete Experiment zeigt, welchen negativen Einfluss das Smartphone auf Kinder haben kann. Das liegt daran, dass Babys ihre Emotionen noch nicht alleine regulieren können; Neugeborene brauchen dazu ihre Bindungsperson – und es ist nicht gut, wenn diese ständig abgelenkt ist. Dabei prägen uns Bindungen ein Leben lang, schließlich ist das Bedürfnis nach Liebe und sozialer Nähe genetisch verankert.

Die Doku geht auch der Frage nach, wie der Aufbau von Beziehungen in einer immer digitaler werdenden Welt gelingt. Viele nutzen Dating-Apps; sie erleichtern die Kontaktaufnahme. Viele pflegen so virtuelle Bekanntschaften in sozialen Netzwerken. Das Smartphone ist dafür als Werkzeug immer verfügbar und kann persönliche Begegnungen ersetzen.

Gleichzeitig wird es zum Störfaktor im realen Leben. Denn wer ständig online ist, vernachlässigt Freunde, Kinder und Partner. Dazu wird das “Phubbing Experiment” an der Universität Basel (Schweiz) vorgestellt. “Phubbing” steht für “soziale Unhöflichkeit”. Die Wissenschaft geht der Frage nach, ob dadurch ernsthafte Bindungsprobleme entstehen können.

Filmisch wird auch die spezielle Problematik behandelt, wie sich Singles und Menschen mit einer Bindungsstörung ihren Wunsch nach sozialer Nähe erfüllen können. Experten im Film vermuten, dass durch fehlende menschliche Berührungen körperliche und seelische Krankheiten entstehen können. Ob angeleitetes Kuscheln eine Möglichkeit sein kann, mehr Sicherheit und Geborgenheit zu erleben, probiert Single-Frau Martina aus Hamburg aus – und auch hier ist ein Kamerateam dabei.

Neu ist die Beobachtung nicht, dass Handykonsum nicht ohne Risiken ist. Dennoch bietet die Doku in 45 Minuten einen kompakten Überblick über aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse.