Nicht Staatspräsident – ein Bürgerpräsident wollte Gustav Heinemann sein. Das dritte westdeutsche Staatsoberhaupt stand für den demokratischen Aufbruch Ende der 60er Jahre und die sozial-liberale Koalition.
Was bleibt von einem Bundespräsidenten? Die Rede von Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes. Die Ruck-Rede von Roman Herzog, der singende Walter Scheel und der wandernde Karl Carstens…
Ziemlich blass bleibt die Erinnerung an Gustav Heinemann, der vor 125 Jahren, am 23. Juli 1899, in Schwelm in Westfalen geboren wurde und von 1969 bis 1974 das dritte Staatsoberhaupt der westdeutschen Bundesrepublik war. Damit war er der erste Sozialdemokrat an der Staatsspitze seit Friedrich Ebert in der Weimarer Republik.
“Heinemann geht nun voran”, kalauerte die Bild-Zeitung, als der SPD-Politiker am 5. März 1969 zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Für die Union, die Verteidigungsminister Gerhard Schröder (CDU) nominiert hatte, war das die erste schwere Abstimmungsniederlage seit Langem. Schließlich hatte die FDP Heinemann mitgewählt – ein Vorzeichen für den Machtwechsel in Bonn, der im September 1969 die sozial-liberale Koalition an die Regierung brachte.
Wie kaum ein anderer stand Heinemann für die gesellschaftliche Aufbruchstimmung in der Bundesrepublik. “Wir stehen erst am Anfang der ersten wirklich freiheitlichen Periode unserer Geschichte. […] Nicht weniger, sondern mehr Demokratie – das ist die Forderung, das ist das große Ziel, dem wir uns alle und zumal die Jugend zu verschreiben haben”, sagte er bei seiner Antrittsrede am 1. Juli 1969.
Als eines seiner wichtigsten Anliegen bezeichnete Heinemann den Kampf gegen Untertanengesinnung und die Erziehung der Deutschen zu Bürgern, die sich aktiv für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und soziale Gerechtigkeit einsetzen sollten. Er selbst bezeichnete sich lieber als “Bürgerpräsident” statt als “Staatspräsident”. In diesem Sinne führte er die Tradition ein, zu Neujahrsempfängen auch einfache Bürger einzuladen. Seine nüchterne Haltung zum Staat verpackte der Protestant in das berühmte Zitat: “Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau.”
Heinemann galt als “unbequemer Demokrat”. Dass die CSU von einem Links-Ruck sprach, hatte auch damit zu tun, dass er sich in der Frühzeit der Bundesrepublik als Gegner der Wiederbewaffnung profiliert und deshalb die CDU verlassen hatte.
Heinemann hatte am Ersten Weltkrieg aufgrund einer schweren Grippeerkrankung nur kurz teilgenommen. Anschließend studierte er in Marburg und anderen Städten Rechtswissenschaften, Volkswirtschaft und Geschichte. Er arbeitete als Justiziar und Prokurist bei den Rheinischen Stahlwerken Essen, deren stellvertretendes Vorstandsmitglied er wurde.
Unter dem Einfluss seiner Frau Hilda entwickelte der Protestant großes Interesse an Religion. Während des Nationalsozialismus gehörte er der Bekennenden Kirche an, die den Machtanspruch der Partei nicht akzeptierte. Später war er Mitglied des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Präses der Gesamtdeutschen Synode.
Schon als Student engagierte sich Heinemann in den Studentengruppen der Deutschen Demokratischen Partei. Nach dem Krieg war er ehrenamtlicher Oberbürgermeister von Essen für die CDU, deren Landesverband er mitbegründet hatte, dann auch Justizminister von Nordrhein-Westfalen. 1949 wurde er Bundesinnenminister.
Nach einem Jahr trat er jedoch zurück, weil Bundeskanzler Konrad Adenauer den Westmächten ohne Absprache ein deutsches Kontingent für eine europäische Armee angeboten hatte. “Wir reden davon, dass wir eine Demokratie verteidigen wollen. Da müssen wir zunächst einmal Demokratie sein und Demokratie riskieren”, erklärte er zur Begründung.
Er trat aus der CDU aus und gründete die “Gesamtdeutsche Volkspartei”, die sich jedoch 1957 wieder auflöste. Heinemann trat daraufhin der SPD bei, für die er auch im Bundestag saß. In der Großen Koalition wurde er 1966 Bundesjustizminister und liberalisierte das Strafrecht. Außenpolitisch lagen ihm die Aussöhnung mit den europäischen Nachbarn und die Förderung des Friedens in Europa am Herzen.
1974 verzichtete Heinemann auf eine Wiederwahl. Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit eröffnete er die “Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte” im badischen Rastatt – ein markanter Schlusspunkt seines Wirkens. Heinemann starb am 7. Juli 1976 in Essen.