Von einem historischen Moment war die Rede: Papst Franziskus und Kyrill I., Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, haben sich getroffen. Zum ersten Mal seit der Trennung des morgen- und abendländischen Christentums führten zwei Kirchenführer aus Ost und West wieder ein persönliches Gespräch miteinander. Aber was genau war Dramatisches passiert, dass es über fast ein Jahrtausend nicht möglich war, einander in die Augen zu sehen?
Wie in einem Brennglas wird das Problem, das vor rund 1000 Jahren zur Trennung der Kirche führte, in dem Streit um ein Wort deutlich: das „filioque“. Die lateinische Verbindung bedeutet „und dem Sohn“ und soll die Lehre von der Dreifaltigkeit präzisieren: Der Heilige Geist geht vom Vater und dem Sohn aus. So schrieb es die westliche Kirche im Laufe des ersten christlichen Jahrtausends in ihre Glaubensbekenntnisse.
Verschieden im Denken und Glauben
Die östlichen Kirchen mit ihren Zentren in Jerusalem, Alexandria und Konstantinopel dagegen lehnten diese Formulierung ab. Sie beriefen sich dabei auf das Konzil von Nicäa, auf dem 315 alle wichtigen Vertreter der damals noch einigen Christenheit gemeinsam ein Bekenntnis formuliert hatten, das für die gesamte Kirche bindend sein sollte. In diesem nicänischen Glaubensbekenntnis, das 381 auf einem Konzil in Konstantinopel noch einmal präzisiert wurde, war von einem Ausgehen des Geistes vom Vater und dem Sohn keine Rede.
Die westliche Kirche hing deshalb so am „filioque“, weil sie die Ketzerlehre des Arianismus bekämpfen wollte. Die Arianer lehnten die Vorstellung ab, dass Christus von gleichem Wesen sein könnte wie Gott der Schöpfer. Ein Gott, der selbst in Jesus gelitten habe und gestorben sei, war für sie nicht denkbar. Sie nahmen daher für Jesus eine andersartige „Natur“ an als für Gott und stellten ihn unter den Schöpfer.
Bei dem Streit ging es keineswegs um Wortklauberei, sondern buchstäblich um das Seelenheil: Wenn in Jesus nicht Gott selbst für die Sünden gestorben sei, könnte die Erlösung in Gefahr sein, befürchteten die Verfechter der Dreifaltigkeit. Darum wurde die arianische Lehre mit allen Mitteln bekämpft.
Dennoch fand sie zeitweise weite Verbreitung; auch Bischöfe und Kaiser hingen ihr an. Arianische Missionare bekehrten die Germanen; Konstantin der Große wurde gar von einem arianischen Bischof getauft. Lange Zeit war es keineswegs ausgemacht, dass der Glaube an die Dreifaltigkeit gewinnen würden.
Zu ihrer Verteidigung formulierte der Kirchenvater Augustin zu Beginn des 5. Jahrhunderts eine Trinitätslehre, die zwar von drei Personen der Gottheit sprach, vor allem aber die Einheit und Gleichwertigkeit dieser drei betonte. In seinem Werk „Von der Trinität“ schrieb er, dass der Geist von dem Vater und dem Sohn „ausgehe“. Diese Formulierung fand ab dem 6. Jahrhundert Eingang in die abendländischen Bekenntnisse und wurde von Kaiser Karl dem Großen 809 für unverzichtbar erklärt.
Die Kirchen des Ostens dagegen hatten keine Schwierigkeiten damit, sich innerhalb der drei Personen eine gewisse Hierarchie vorzustellen, ohne die Wesensgleichheit damit aufzuheben: Gott ist der einzige Ursprung innerhalb der Dreiheit. Sohn und Geist sind wie sein rechter und linker Arm; der Sohn „gezeugt“, der Geist „gehaucht“.
Dass die römische Kirche das allgemeine Glaubensbekenntnis einseitig veränderte, empfanden die Ostkirchen als Affront. Sie warfen dem Westen Verfälschung der in Nicäa gefundenen Einigung vor. Die Westkirchen konterten, dass der Osten das „filioque“ eigenmächtig entfernt habe – ein absurder Vorwurf angesichts der historischen Tatsachen. Aber selbst im Westen wurde noch jahrhundertelang über den Zusatz diskutiert, bis Papst Benedikt VIII. ihn um 1013 lehramtlich dem lateinischen Glaubensbekenntnis hinzufügte. Die endgültige Trennung zwischen West- und Ostkirche, das sogenannte Morgenländische Schisma, vollzog sich dann im Jahr 1054, als sich der Papst und der Patriarch von Konstantinopel gegenseitig exkommunizierten.
Der Streit um das „filioque“ war jedoch nicht der einzige Anlass für die Kirchenspaltung. Schon seit den Anfängen des Christentums forderte die Kirche in Rom eine Sonderrolle, die sie mit dem Wirken und Sterben der beiden Apostel Petrus und Paulus in der Stadt begründete. Verständlicherweise waren die Bischöfe von Jerusalem, Antiochia in Syrien, Alexandria in Ägypten und der Kaiserstadt Konstantinopel nicht bereit, diese Vormachtstellung anzuerkennen. Sie verstanden sich als die Hüter der „Orthodoxie“, der „rechten Lehre“.
Mit den Machtspielen vermischten sich außerdem kulturelle Verständigungsschwierigkeiten: Nicht nur war im Osten die Verkehrssprache Griechisch, während im Westen Latein gesprochen wurde; zusätzlich kam eine grundsätzlich verschiedene Geisteshaltung zum Tragen. So waren wichtige Theologen im Westen juristisch-politisch gebildet, während die Vordenker im Osten eher die direkte spirituelle Erfahrung in den Vordergrund stellten – Einflüsse, die sich bis heute in der jeweiligen kirchlichen Lehre wiederfinden.