“Im Krieg Entschlossenheit. Nach der Niederlage Widerstand. Nach dem Sieg Großmütigkeit. Im Frieden guter Wille.” Ab Mai 1940 wurden Winston Churchills Worte zu Taten.
“Wir alle sind Würmer. Aber ich glaube, dass ich ein Glühwürmchen bin.” Bescheidenheit gehörte nicht zu den ersten Tugenden von Großbritanniens legendärem Premier Winston Churchill. Das Bewusstsein, zu Größerem berufen zu sein, zeichnete ihn eher aus. Vielleicht hatte das ja auch etwas mit dem Ort zu tun, an dem der spätere Politiker vor 150 Jahren, am 30. November 1874, zur Welt kam. Mit 187 Zimmern auf 28.000 Quadratmetern verteilt gehört Blenheim Palace zu den imposantesten Schlössern in England. Den Grundstein dafür hatte ein Vorfahr von Winston 1704 mit einem Sieg beim Spanischen Erbfolgekrieg im deutschen Blindheim nahe der Donau gelegt.
Zum Kriegshandwerk fühlte sich der Spross aus der Adelsdynastie der Marlboroughs früh hingezogen, war von 1895 bis 1901 in den damaligen Konfliktherden im Einsatz, etwa auf Kuba, in Indien oder dem Sudan. Er genieße jede Sekunde, vertraute er noch im Ersten Weltkrieg einer Freundin an. Das klingt für heutige Ohren befremdlich. Ebenso wie rassistische Äußerungen über den indischen Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhi (“halbnackter Fakir”) oder seine herablassenden Kommentare gegenüber Frauen.
Gleichwohl wirbt Franziska Augstein in ihrer unlängst erschienen Biographie dafür, Churchill aus seiner Zeit heraus zu betrachten – ohne seine Entgleisungen schön zu reden. Denn in der entscheidenden Stunde war der Politiker zur Stelle. Im Mai 1940 übernahm er die Regierungsverantwortung und schwor seine Landsleute mit einer noch heute berühmten Rede auf den Kampf gegen Adolf Hitler und Nazideutschland ein.
“Sie fragen: Was ist unser Ziel? Ich kann es in einem Wort nennen: Sieg – Sieg um jeden Preis”, erklärte er vor dem britischen Unterhaus. Der Weg dahin könne beschwerlich sein, räumte der damals 65-Jährige ein und gestand: “Ich habe nichts zu bieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß.” Der Weg zum Kriegsheld lag da noch vor ihm; bis dahin hatten Kritiker ihn mitunter als Maulhelden wahrgenommen.
“Winston denkt mit seinem Mund”, urteilte einer seiner Amtsvorgänger Herbert Asquith. Im Ersten Weltkrieg war Churchill mitverantwortlich für die desaströse Niederlage gegen das Osmanische Reich in der Schlacht bei Gallipoli im Februar 1915. Seine Verdienste bis dahin: überschaubar. Sein öffentliches Auftreten: flatterhaft. Manches wollte überhaupt nicht gelingen: “Auf dem Gebiet der Sozialpolitik war Churchill unbegabt”, urteilt Biographin Augstein.
Im Zweiten Weltkrieg waren andere Qualitäten gefragt. Churchill schmiedete mit dem kapriziösen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, dem eigensinnigen französischen General Charles de Gaulle und dem skrupellosen Sowjetherrscher Josef Stalin die letztlich siegreiche Koalition gegen Deutschland und die mit den Nazis verbündeten Achsenmächte. Mit roten Aufklebern auf seinen Direktiven, versehen mit der Aufschrift “Action this day” – “Handeln diesen Tag” trieb der Premier seine Leute an und schonte sich selbst nicht.
Auch mit Ende 60 konnte Churchill angeblich eine 90-Stunden-Woche absolvieren. Dabei pflegte der “Pegeltrinker” – O-Ton Augstein – weiter liebgewordene Gewohnheiten. Ein Zeitzeuge notierte: “Den Tag begann Churchill gelegentlich mit Weißwein zum Frühstück. Etwas später gefolgt von einem Glas trockenen Sherrys und dann einer kleinen Flasche Burgunder-Rotwein oder Bordeaux zum Lunch.” Die Folgen: Herzanfälle und Lungenentzündungen.
Unmittelbar nach dem Krieg musste Churchill seinen Posten räumen, kehrte aber noch einmal, von 1951 bis 1955 als Premier zurück, wo er den Niedergang des britischen Empire nur noch verwalten konnte. Seine Leidenschaft für das Schreiben trat noch einmal in den Vordergrund; 1953 erhielt er den Literaturnobelpreis.
Der unverwechselbare Mix aus Exzentrik und Tatkraft fasziniert bis in die Jetzt-Zeit. Einer wie Boris Johnson wäre wohl gern als zweiter Churchill in die Annalen eingegangen. Zu einer Biographie “Der Churchill-Faktor” hat es gereicht.
Am 24. Januar 1965 starb Winston Churchill im Alter von 90 Jahren. “Ich bin keine Säule der Kirche, sondern ihr Strebepfeiler: Ich unterstütze sie von außen”, hatte er einmal über seinen Bezug zur Religion gesagt. Der Trauergottesdienst, zu dem die britische Königin Elizabeth persönlich erschien, wurde gleichwohl in St. Paul’s Cathedral abgehalten. Die Bilder des Staatsbegräbnisses jagen dem Betrachter noch heute Schauer der Ergriffenheit über den Rücken. Churchill, von dem es heißt, er sei zu Lebzeiten nah am Wasser gebaut gewesen, hätte vermutlich geweint.