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Zeitzeuge: “Es gab gar nichts mehr, alles war kaputt”

Es ist Freitag, kurz nach 21 Uhr. Die Sirenen heulen los an diesem 16. März 1945, wie fast jeden Tag. Der damals sechsjährige Helmut Bauer rennt mit Mutter, Bruder und Großeltern zum Luftschutzkeller. Unter dem Pfarrhaus in der Pleich wollen sie bleiben. Sie schaffen es gerade noch in den Raum, ehe die erste Bombenwelle die ganze Stadt erschüttert. „Das klang wie Maschinengewehrdonner“, erzählte Helmut Bauer vor zehn Jahren zum 70. Jahrestag der verheerenden Luftangriffe. Inzwischen ist er, wie die meisten Zeitzeugen des 16. März 1945, verstorben. Der Bombenhagel der Alliierten vor 80 Jahren traf die Stadt ins Mark. Würzburg verliert sein Gesicht, 90 Prozent der Altstadt werden zerstört, Tausende sterben.

Luftangriffe haben den kleinen Helmut damals nicht mehr aus der Ruhe gebracht, erzählte er 2015 dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Wenn die Bomben tagsüber gefallen sind, sind wir zum Einschlag gelaufen und haben geguckt, was getroffen wurde.“ Er ist ein Kriegskind, bis Ende 1943 hat er mit Mutter und Großeltern in Berlin gelebt. „Die ständige Bombardierung dort und die paar Bomben in Würzburg – das war nicht zu vergleichen“, sagt er. Bis am 16. März 1945 über 200 Bomber der britischen Royal Air Force Kurs auf Würzburg nehmen. Militärisch ist der Krieg zu diesem Zeitpunkt längst entschieden, die Bombardements sollten die Moral der Zivilbevölkerung weiter brechen.

Der Bombenhagel dauert nur ungefähr 20 Minuten. Zuerst werfen die Alliierten über Würzburg Sprengbomben und Luftminen ab, um Dächer und Fenster zu zerstören. Es folgen rund 300.000 sogenannte Stab-Brandbomben. Aus Tausenden kleinen Brandnestern wird ein Flächenbrand, ein Feuersturm, der bis zu 2.000 Grad heiß gewesen sein muss. Helmut Bauer hat enormes Glück, dass er mit seiner Familie in der Äußeren Pleich ist, ganz am Rande der Altstadt. So entgeht er, anders als mehr als 5.000 Menschen, dem sicheren Feuertod. Aber auch in der Pleich brennt es lichterloh, als der Junge mit Mutter und Großeltern am späten Abend aus dem Schutzraum kommt.

„Der First der Kirche stand in Flammen“, erinnert sich Helmut Bauer. Beinahe ein wenig surreal habe das Ganze ausgesehen, „wie eine Illumination“. Vom Pleicher Kirchplatz gingen damals sieben Straßen ab – sechs waren durch herabfallende Trümmer der umliegenden Häuser versperrt. „In einer gab es eine kleine Lücke“, erinnerte sich das Kriegskind. Dort drängten sich Hunderte Menschen aus umliegenden Luftschutzräumen nach draußen. „Die Hitze war enorm“, wusste der Überlebende zu berichten. Die Menschen liefen in Richtung Neuer Hafen, mainabwärts, „dahin, wo es dunkel war und nicht brannte“. Von dort aus blickten sie geschockt auf das lichterloh brennende Würzburg.

„Die Leute haben damals nicht geglaubt, dass Würzburg flächendeckend angegriffen wird“, sagt Helmut Bauer. Schließlich sei man Sanitätsstadt gewesen. Es gab keine Industrie und die wenige Verkehrsinfrastruktur war bereits Wochen zuvor ganz gezielt von den Alliierten zerbombt worden. Die Überlebenden des Feuersturms schlafen auf dem Gelände einer Speditionsfirma, ehe sie sich am nächsten Morgen in den noch rauchenden Trümmern auf die Suche nach Überbleibseln ihres Hab und Guts machen. „Es gab aber gar nichts mehr, alles war kaputt, verbrannt, die Häuser nur noch Gerippe“, erzählte Helmut Bauer damals. Kurze Zeit später verlässt der Junge die Stadt für fünf Jahre.

Auch andere Zeitzeugen berichteten von der enormen Feuersbrunst, die in Würzburg gewütet hat. Anton Schlembach, der spätere Bischof von Speyer, war in den Kriegsjahren Schüler am Würzburger Kilianeum. „Wir wurden einige Tage vor dem großen Bombenangriff heimgeschickt, ein geordneter Unterricht war wegen des ständigen Luftalarms ja ohnehin nicht mehr möglich“, erinnerte er sich in einem epd-Gespräch vor zehn Jahren. Die Bombennacht selbst hat er sicher in einiger Entfernung von Würzburg verbracht, „aber dass der ganze Himmel über Würzburg hellerleuchtet war, das haben wir selbst dort gesehen“, erzählt der Alt-Bischof mit unterfränkischen Wurzeln.

Dass Würzburg überhaupt von den Alliierten bombardiert wurde, hat sich nach Kriegsende mehr oder weniger als Zufall herausgestellt. Dass die Stadt prozentual noch mehr zerstört wurde als Dresden wissen heute nur noch die wenigsten. Die Würzburger halten die Erinnerung an die Bombennacht bis heute wach. Jedes Jahr am Abend des 16. März läuten in der Innenstadt die Glocken aller Kirchen. Und die Würzburger wehrten sich – gegen die Vereinnahmung dieses Gedenktages durch die Rechtsextremen. Vor allem in den frühen 2000er und 2010er Jahren versuchten rechte Kleinstparteien mit Neonazi-Demos rund um den 16. März die Kriegsgeschichte umzudeuten.

Die Aufbauarbeiten nach dem Krieg dauerten Jahre, die Spuren dieser Nacht sind bis heute zu sehen. Die Stadt sieht seitdem anders aus. Die Narben im historischen Stadtkern sind eine Mahnung. Ein prominentes Beispiel dafür ist die evangelische St. Johanniskirche. Die Turmruinen wurden nach dem Krieg nicht wieder originalgetreu aufgebaut, sondern ihnen zwei schlanke Spitzen übergestülpt. Die ganze Kirche ist bis heute ein weithin sichtbares Mahnmal des 16. März. (0694/26.02.2025)