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Zehn Jahre “Gamergate” – Eine Blaupause für rechten Kulturkampf

Unter dem Vorwand, sich um Ethik im Videospiel-Journalismus zu sorgen, starteten Rechtsextreme vor zehn Jahren eine Hasskampagne gegen Frauen und queere Menschen in der Gaming-Szene. Eine Entwicklung, die bis heute kaum abgeflaut ist.

Zehn Jahre ist es her, dass Eron Gjoni einen Blogbeitrag veröffentlichte: eine 24 Punkte lange Liste, welche Verfehlungen sich Zoe Quinn im Laufe ihrer Beziehung angeblich hatte zuschulden kommen lassen. Quinn arbeitet in der Gaming-Branche, steckt unter anderem hinter dem Spiel “Depression Quest”. Gjoni warf Quinn Betrug, Lügen und Manipulation vor. Ein Rosenkrieg zwischen zwei Privatpersonen, vor den Augen der (Netz-)Öffentlichkeit breitgetreten, Wahrheitsgehalt offen. Soweit nichts Besonderes. Außergewöhnlich ist jedoch, was der Blogartikel seit 2014 ausgelöst hat.

Denn Gjonis Text fand seinen Weg in ein Forum auf der Webseite 4chan, das als Tummelplatz für Rechtsextreme gilt. Die Nutzer dort waren elektrisiert: Eine queere Person, die sich in der traditionell eher männerdominierten Gaming-Szene für Frauen und Minderheiten stark macht? Zoe Quinn taugte hier als optimales Feindbild. Die Nutzer begannen eine Kampagne gegen Quinn, die in Hass-Kommentare, Doxxing, also das veröffentlichen privater Informationen, und Belästigung und Morddrohungen auch in der “echten Welt” mündete. Später sammelten sich diese Aktivitäten unter dem Titel “Gamergate”.

Der Mob stürzte sich besonders auf ein Detail des Blogartikels: Gjonis Behauptungen zufolge hatte Quinn eine Affäre mit dem Spiele-Journalisten Nathan Grayson. Im Gaming-Bereich gibt es immer wieder Kritik an mangelnder Unabhängigkeit von Journalistinnen und Journalisten, die auf die Studios angewiesen sind, um Spiele vorab testen zu können. Daher wird ihnen mitunter der Verzicht auf allzu kritische Berichterstattung vorgeworfen.

Hat sich Quinn also auf eine Beziehung mit einem Journalisten eingelassen, damit dieser positiv über “Depression Quest” berichtet? Philipp ist davon nicht überzeugt. Seinen vollständigen Namen möchte er lieber nicht veröffentlicht wissen, um nicht selbst zum Ziel von Anfeindungen des “Gamergate”-Mobs zu werden. Philipp ist Autor und Dozent zu den Themen interaktive Medien und Games und Mitglied bei Game Workers Unite, einem Netzwerk, das sich für Arbeitnehmerrechte in der Gaming-Branche einsetzt. Außerdem engagiert er sich beim Netzwerk “Kein Pixel dem Faschismus”, einem Zusammenschluss von Menschen, die sich dem Gaming verbunden fühlen und gegen rechtsextreme Tendenzen in der Szene kämpfen.

Zwar habe die Spielebranche tatsächlich ein Problem mit Korruption und der Nähe zwischen Games-Studios und Fachmedien, sagt Philipp: “Es ist aber kein Zufall, dass hier eine queere Person als Ziel ausgesucht wurde, die sich oft feministisch geäußert hat.” Ohnehin laufe der Vorwurf der Korruption im Fall von Zoe Quinn ins Leere, da das Spiel “Depression Quest” kostenlos gewesen sei und der Journalist, mit dem Quinn eine Affäre gehabt haben soll, überhaupt nicht über das Spiel berichtet habe.

Auch die Darstellung, dass “Gamergate” ursprünglich ein seriöses Anliegen gehabt habe und erst später von Rechtsextremen gekapert wurde, will Philipp nicht gelten lassen: “Der Chat, in dem sich der Mob getroffen hat, hatte schon vorher eine klare politische Stoßrichtung. Das Narrativ, das hier aufgebaut wurde, beschuldigt Feministinnen, queere Menschen und Linke, mit Political Correctness die Spiele zu unterwandern.”

Schnell beschränkte sich die Kampagne nicht mehr auf kleine Foren, sondern schwappte auch auf Plattformen wie Reddit, Twitter und YouTube. Der Hass weitete sich auf andere Personen aus: Die Bloggerin Anita Sarkeesian, die schon seit 2012 mit Online-Hass zu kämpfen hatte, sah sich beispielsweise wegen anhaltender Morddrohungen gezwungen, zeitweise ihre Wohnung zu verlassen und öffentliche Auftritte abzusagen.

Etwa zwei Wochen nach der Veröffentlichung von Gjonis Blogartikel sprang der Breitbart-Autor Milo Yiannopoulos auf den Zug auf. Breitbart wird der rechtsextremen Alt-Right-Bewegung in den USA zugerechnet und veröffentlicht vor allem Falschmeldungen und Verschwörungsideologien. Das Portal hatte außerdem zeitweise einen engen Bezug zum ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der nach seinem Wahlsieg 2016 Breitbart-Herausgeber Stephen Bannon zum Chefstrategen und Berater ernannte.

Mit Breitbart schaffte “Gamergate” endgültig den Sprung in den rechten Mainstream, sagt Philipp von “Kein Pixel dem Faschismus”. Plötzlich habe die Bewegung allgemeine politische Ziele verfolgt, wie etwa die Einschränkung der Rechte queerer Menschen oder den Antifeminismus. “Diese Ziele und die enge Assoziation mit rechten Parteien mündete dann im Laufe von 2015 und 2016 in die Unterstützung von Donald Trump. Hier ging es schon lange nicht mehr nur um Spiele”, berichtet Philipp.

“Gamergate” könne man also als Blaupause für den rechten Kulturkampf in den USA beschreiben: “Für viele war es ein Testlauf. Antifeministische Einstellungen gab es im Gaming-Bereich schon vorher. Hier wurde jetzt gezeigt, dass diese Einstellungen sehr gut im Mainstream ankommen, wenn sie mit einem entsprechenden Narrativ transportiert werden.” In diesem Fall lautete dieses Narrativ, man sei um unabhängigen Spiele-Journalismus bemüht – was dazu geführt hat, dass auch Menschen die Kampagne unterstützten, die eigentlich andere politische Positionen vertraten.

“Dem Kulturkampf liegt immer dasselbe Muster zugrunde”, erklärt Philipp. “Die Mehrheitsgesellschaft, also meistens weiße Männer, werden unterdrückt. Böse Feministinnen und queere Menschen machen als Eindringlinge die Gesellschaft, in diesem Fall die Spiele-Branche, kaputt.”

Und die Bewegung köchelt weiter. Einerseits als Teil einer rechten Bewegung, lange nicht mehr nur in den USA, die festgestellt hat, dass antifeministische und antiqueere Ideen bei einer breiten Masse von rechten Akteuren anschlussfähig sind. Andererseits lebt “Gamergate” auch in seiner Ursprungsform fort – als systematische Mobbing-Kampagne gegen Frauen und queere Menschen. In Deutschland finden sich die “Gamergate”-Mechanismen etwa in der Kampagne gegen die österreichische Streamerin Shurjoka wieder. Sie wird immer wieder aus rechten Influencer-Kreisen heraus mit absurdesten Vorwürfen überzogen.

Problematisch ist auch das Verhalten der Plattformen, über die solche Kampagnen verbreitet werden. Portale wie Twitch, das vor allem von Streamerinnen und Streamern genutzt wird, verhindern nicht einmal, dass Nutzer damit Geld verdienen. Hinzu kommt “Rage-Baiting”: Hierbei geht es darum, bei Nutzerinnen und Nutzern möglichst viel Wut auszulösen, in der Hoffnung, damit Follower oder Abonnenten zu gewinnen und ebenfalls den finanziellen Erfolg zu steigern.

Vor zehn Jahren, als “Gamergate” seinen Anfang nahm, reagierten viele Plattformbetreiber erst, als sich unbeteiligten Menschen abwandten, weil ihnen der Hass zu viel wurde. Auch heute wird Hass auf X, YouTube oder Twitch weitestgehend geduldet. Meldungen und Beschwerden hätten meistens keinerlei Folgen, berichten Betroffene immer wieder. Zwar sind die Regeln in Deutschland durch die EU-Plattformregulierung, das neue Digitale-Dienste-Gesetz und die Gesetze gegen Volksverhetzung etwas strenger als in den USA. Doch auch hierzulande geben die Plattformen zu wenig Geld für die Kontrolle eingestellter Inhalte und die Moderation von Kommentaren aus, um wirklich einen Unterschied zu machen.