“Lügen haben kurze Beine – aber auf denen kann man auch schnell laufen!”, pflegt Hajo Siewers zu sagen. Und nach eben jenem Motto lebt der Autoverkäufer auch. Wo immer es kompliziert, unangenehm oder auch einfach nur dröge werden könnte, lässt sich der Mann in mittleren Jahren eine kleinere oder auch mal größere Lüge einfallen. Meistens überdehnt er dabei reale Vorkommnisse bis zur Unkenntlichkeit: hier eine kleine Übertreibung, da eine gewisse Ausschmückung.
Eines Tages aber geht der privat wie beruflich unter Druck stehende Hajo – sein Teenager-Sohn hat Ärger in der Schule, und ihm selbst soll gekündigt werden, sollte er noch ein einziges Mal zu spät zur Arbeit kommen – zu weit. Seine Frau sei gerade bei einem Unfall ums Leben gekommen, lautet seine spontan erdachte Ausrede dafür, wieso es mit dem Pünktlichsein mal wieder nicht geklappt hat.
Fatale Lüge: Der Ausgangspunkt für allerlei absurde Entwicklungen
Die fatale Lüge ist nun der Ausgangspunkt für allerlei absurde und dramatische Entwicklungen, die Hajo in den privaten wie beruflichen (Fast-)Ruin treiben. Diese genüsslich auszuloten, vor allem darum geht es der Komödie “Alles gelogen”, die das ZDF am 5. September von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt. Geschrieben hat den Film Komödien-Profi Ralf Husmann, in Szene gesetzt wurde er vom in Sachen Humorproduktion nicht minder erfahrenen Erik Haffner. Während der eine “Stromberg” oder die “Merz gegen Merz”-Reihe erfand, führte der andere bei den Comedy-Reihen “Ladykracher” oder “Pastewka” Regie.
Eben jener Bastian Pastewka spielt auch hier die Hauptrolle: Die Figur des Hajo Siewers ist gewissermaßen eine (etwas sympathischere) Variation seines Rollenprofils aus der TV-Reihe über das fiktive Ich des bekannten Comedian. Ein Mann, der sich vor Unangenehmem drückt, sich windet, laviert und damit alles immer nur noch schlimmer macht. Ein Typ, der die Realität – und sich selbst! – aber auch einfach gerne ein bisschen “größer” und aufregender darzustellen sucht, als sie sind. Und sich deshalb regelmäßig um Kopf und Kragen redet. Eine Rolle, die der Schauspieler und Komiker in der ihm eigenen Pastewka-Manier sehr gut ausfüllt.
Zwischen komödiantischer Leichtigkeit und überzeugender Genervtheit
Eine wirkliche Wucht aber sind die beiden Schauspielerinnen an seiner Seite: Vor allem Lina Beckmann ist toll als Mauerblümchen Birgit, Hajos Arbeitskollegin. Wie Beckmann hinter Birgits netter, harmloser Erscheinung eine fast diabolische, in jedem Fall aber kriminelle Seite der im Leben zu kurz gekommenen Frau zum Schillern bringt, das ist einfach grandios gespielt.
Auch Katrin Wichmann als “tote” Ehefrau Vera gelingt eine gute Balance zwischen komödiantischer Leichtigkeit und überzeugender Genervtheit ob der lügnerischen Eskapaden ihres Ehemanns. Ein ähnliches Gefühlsspektrum deckt Arthur Gropp als Sohn Marvin stimmig ab. Tim Seyfi wiederum gibt einen schön lakonischen Polizisten, und Benita Sarah Bailey überzeugt als Veras tatkräftige beste Freundin.
Gibt es Lügen, die in Ordnung oder vielleicht sogar gut sind?
Gibt es Lügen, die in Ordnung oder vielleicht sogar gut sind, weil sie trösten und das Leben rosiger gestalten? Falls ja, wo ist die Grenze, ab wann wird es unlauter? Oder ist die “wahre Wahrheit” dem Menschen zuzumuten; ja, sind die nackten, hässlichen Tatsachen womöglich stets dem Schwindel vorzuziehen? Es sind Fragen wie diese, die der klug aufgebaute und amüsante Film auf lebendige Weise und diversen Ebenen erörtert. Eindeutige Antworten gibt es glücklicherweise nicht.
Auch wenn – wir befinden uns immerhin in einer TV-Komödie – natürlich ein Happy End mit einem halbwegs geläuterten Lügner dazugehört: Da heißt es dann Reste-Essen statt Nobelitaliener. Gegen dieses eher vorhersehbare Ende hin fällt der auch in optisch-bildnerischer Hinsicht gelungene Film ein klein wenig ab.
Bis dahin aber ist es spannend und vergnüglich, sich vom Drive und der geschickt hergestellten Dynamik des Films mitreißen zu lassen. Und mitzufiebern, wie sich die vielen, vielen sinnbildlichen Schlingen, die sich Hajo höchstpersönlich um den eigenen Hals gelegt hat, immer weiter zuziehen.
“Alles gelogen”: Am Donnerstag, 5. September, um 20.15 Uhr im ZDF.