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ZDF-Doku versäumt die wichtigen Fragen über das Internet

Eine ZDF-Doku kratzt beim Versuch, dem Stand der Digitalisierung in der deutschen Wirtschaft auf den Grund zu gehen, an allerhand Oberflächen.

Zum Einstieg kokettiert Florian Neuhann, der oft auch im “heute-journal” auftretende ZDF-Wirtschaftsexperte, mit der vermeintlichen Langweiligkeit seines Themas “Update überfällig. Wie digital ist die Wirtschaft?”. – Natürlich, um dann mit der Aussicht zu locken, dass Deutschland gar nicht so abgehängt sei, wie alle meinen. Neuhann führt als Presenter durch die 45-minütige Doku, spricht gerne im On und viel im Off und reist dabei quer durchs Land.

Im Bremer Umland beklagt die Chefin eines “Gemüseabo”-Lieferservices das langsame und störanfällige Internet, durch das ihr Unternehmen “Zigtausende Euro” verliere. Bei den Chefs einer Etiketten-Druckerei für Lebensmittel geht es um Arbeits- und Kostenaufwand der Digitalisierung. Offenbar würde ein Verzicht auf Papier-Akten hier umso teurere Software erfordern.

Später geht es nach Heilbronn, wo derzeit ein Zentrum für Künstliche Intelligenz entsteht. Die Schwarz-Gruppe, Eigentümer der Lidl-Märkte, die mit viel Geld in Cloud- und weitere Digitalgeschäfte einsteigt, wird nicht erwähnt. Dafür sucht die ZDF-Doku eine Firma auf, die sich vom Maschinenbauer zum Hersteller von KI für Fahrschulen wandelt.

Eine weitere Station ist Krauschwitz in der sächsischen Lausitz, wo ein Maschinenbauer einem Cyberangriff zum Opfer fiel. Zu Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit, steigen Neuhann und die Kamera auf die Rückbank ihres Dienstwagens. Arbeitnehmer sollten sich weiterqualifizieren, sagt die Ex-SPD-Chefin, und Deutschland müsse sich bemühen, die rund 46.000 indischen Studenten auch nach ihrem Abschluss im Land zu halten.

Am zupackendsten wird in einer kleinen Talkshow argumentiert, die Neuhann zwischendurch mit drei Expertinnen improvisiert. Julia Jäkel, Ex-Chefin des inzwischen abgewickelten Verlags Gruner + Jahr und Mitglied des inzwischen auch ehemaligen Zukunftsrats für den öffentlich-rechtlichen Rundfunks, meint hier, dass Deutschland bei der Digitalisierung “im internationalen Vergleich total abgeschlagen” sei.

Und mit Bundesdigitalminister Karsten Wildberger geht Neuhann durch sein neues, organisatorisch noch im Entstehen begriffenes Ministerium. Die Frage nach “Bürokratieabbau” beantwortet der Minister mit dem Schlagwort “Umsetzungsmuskel”. Später findet er, dass zu wenig über junge Unternehmen und deren “unglaubliche Talente” gesprochen werde, und fordert mehr Spaß am Entwickeln. Woraufhin die Doku sich nach Waldshut-Tiengen an die Schweizer Grenze begibt, wo eine Boutique regelmäßig Modenschauen auf Social Media präsentiert.

Sicher, auch Netzwerke wie Instagram und Whatsapp funktionieren digital, und der Einzelhandel muss der Dynamik des Onlinehandels schon lange etwas entgegensetzen. Doch von chinesischen Anbietern wie Temu, die viele Geschäftsmodelle gefährden, ist hier nicht mal im Ansatz die Rede. Mit “unglaublichen Talenten”, von denen Minister Wildberger eben noch sprach, hat diese Online-Modenschau so wenig zu tun wie mit energieintensiven Rechenzentren, deren hohe, hierzulande unterschätzte Bedeutung die Unternehmerin Andrea Thoma-Böck im nächsten Abschnitt betont.

Kurzum: Der ZDF-45-Minüter kratzt an manchen der sehr vielen unterschiedlichen digitalen Oberflächen. Doch ein größeres Bild der Problemlagen und möglichen Lösungsansätze entsteht nicht. Und selbst dort, wo der Film durchaus Zusammenhänge aufzeigt, wird weder weitergedacht noch nachgefragt. Wenn etwa der Gemüse-Lieferservice schildert, dass Glasfaser nur im Wohngebiet, nicht aber bis ins angrenzende Gewerbegebiet verlegt wurde, und Digitalexpertin Aya Jaff “blindes Marktvertrauen” des Staates beklagt – was sagt der neue Digitalminister dazu? Sollte es wieder Aufgabe des Staates werden, in einem Land mit immer noch vielen weit verstreuten Industriegebieten überall für gute digitale Infrastruktur zu sorgen? Das ist nur eine der Fragen, die der Film aufzuwerfen versäumt.

Auch die kompliziert zwischen Bund, Ländern und Kommunen (sowie gesetzgeberisch der EU) verteilten Zuständigkeiten oder die enorme technische Abhängigkeit von US-amerikanischen Konzernen, die inzwischen eng mit der Machtpolitik von Präsident Trump verknüpft sind, kommen beiläufig in einem Satz oder überhaupt nicht vor. Dafür streuen neckisch teilanimierte Grafiken, in denen etwa löchriger Käse das löchrige Mobilfunknetz illustriert, Informationen von begrenztem Aussagewert wie “nur etwa jedes sechste Unternehmen arbeitet komplett digital” ein.

Dieser leidlich unterhaltsame, aber in seiner Oberflächlichkeit beliebig anmutende Fernseh- und Youtube-Cocktail zeigt somit indirekt, wie überfällig es wäre, sich um ein grundsätzliches Verständnis der Digitalisierung zu bemühen, die sämtliche Lebens- und Arbeitsbereiche betrifft.