Ein Erlass des Kaisers Maximilian I. vom 31. Oktober 1518 besagte, dass nur noch auf außerhalb der Nürnberger Stadtmauern gelegenen Gottesäckern bestattet werden dürfe. Dies führte zur Neuanlage des St.- Rochus-Friedhofs und zur Erweiterung des Pestfriedhofs St. Johannis. Damals sind zwei Begräbnisstätten entstanden, die aufgrund ihrer noch weitgehend existenten historischen Gestalt von einzigartigem kulturgeschichtlichem Rang sind.
Im Jahr ihres 500. Geburtstags wurde beiden, längst unter Denkmalschutz stehenden Friedhöfen ein besonderes Geschenk zuteil. Neben den auf den Gräbern liegenden Sandsteinen, die das Bild dieser Friedhöfe prägen, sind es die flach auf den meisten Steinen angebrachten Platten, die ein weiteres Alleinstellungsmerkmal darstellen. Das Kunsthandwerk, dem die Epitaphien ihre Entstehung verdanken, wurde jüngst in die Bayerische Landesliste des immateriellen Kulturerbes der Unesco eingetragen.
Was die Gedenkplatten
so alles erzählen
„Es war unser Ziel, diesen Schatz stärker im Bewusstsein zu verankern“, berichtet Thomas Haydn, der am Kulturerbe-Antrag mitgearbeitet hat. Der gelernte Metallgestalter ist seit vielen Jahren die erste Adresse, wenn es um Epitaphien geht, mit denen auch heute noch Nürnberger Familien ihre Gräber schmücken. „Die rund 6000 Epitaphien auf den Grabsteinen der beiden Friedhöfe sind ein umfassendes Archiv der Stadtgeschichte“, fasst der gebürtige Österreicher, der sich als Epitaphienkünstler einen Namen erworben hat, den Wert dieses Grabschmucks zusammen.
Als im 16. Jahrhundert die ersten Steine wegen des sandigen Bodens nicht gestellt, sondern auf die Gräber gelegt wurden, waren es noch schmucklose, etwa gleich große Quader, die erst später stärker profiliert wurden. Vom Rat war die Grablänge auf 1,67 Meter festgeschrieben worden. „Weil diese Größenverordnung die Nürnberger an der individuellen Gestaltung der Grabsteine hinderte, suchte man diesen Wunsch durch verschiedenartige Bronzeguss- beziehungsweise Messingplatten zu kompensieren“, erklärt Adalbert Ruschel. Der Friedhofsexperte, der vor seiner Pensionierung Professor an der Hochschule in Nürnberg war, hat mehrere Bücher über spezielle Themen der beiden Friedhöfe veröffentlicht. Er hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Spuren heute etwa längst verschwundene Berufe auf den Gedenkplatten hinterlassen haben oder was diese über die Nürnberger Braukunst verraten.
„Die Epitaphien sind ein umfangreiches Geschichtsbuch.“ Man müsse es nur zu deuten wissen, was für die Menschen der damaligen Zeit kein Problem gewesen sei, versichert Ruschel. Inschriftentexte und Namen, Wappen, Handwerks- und Zunftzeichen sowie figürliche Szenen aus dem Alten und Neuen Testament – die malt schmuckvollen, mit vielen Ornamenten versehenen, mal schlichten Epitaphien auf den Gräbern von St. Johannis und St. Rochus geben dem Besucher Einblicke in Leben, Sterben und Religiosität der Menschen früherer Jahrhunderte.
„Wissen Sie, welchen Beruf der hier Begrabene hatte?“, fragt Adalbert Ruschel und zeigt auf ein Epitaphium auf dem Rochusfriedhof, auf dem mehrere kleine Kreise nebeneinander zu sehen sind. Apotheker vielleicht? „Nein, er war Paternoster-Macher und fertigte Rosenkränze.“ Andere Berufe, auf die in den schon zu Lebzeiten gegossenen Epitaphien aufmerksam gemacht wurde, sind leichter zu entschlüsseln. Man findet einen Messerschmied, dessen Stellung es ihm erlaubte, sein Wappen mit einer Krone zu zieren – kein Einzelfall. Auch der Brillenmacher ist schnell identifiziert. „Nürnberg besaß im 16. Jahrhundert ein Monopol auf Brillenherstellung“, ergänzt der Friedhofsexperte.
Kamm- und Tuchmacher, Pinselhersteller, Löffelschneider, Töpfer und Schlotfeger – St. Rochus war die Begräbnisstätte der Handwerker. Nur ein Patrizier hat hier seine letzte Ruhestätte gefunden. „Ungewöhnlich für einen christlichen Friedhof, dass der legendäre Nürnberger Henker Franz Schmidt hier liegt, vielleicht weil er später zum Wundarzt umschulte“, vermutet Adalbert Ruschel. „Häufig wurden auch Nachnamen auf den Epitaphien mit Symbolen dargestellt.“ So ließ Hans Nußer mit einem Nussbaum an sich erinnern, während ein gewisser Herr Bauch selbigen auf einer Schubkarre vor sich herschiebt: Humor im Angesicht des Todes.
Claudia Maué, die auf dieses Epitaphium auf St. Johannis hinweist, hat eine alte Ansicht mitgebracht: der Friedhof als reine Steinwüste. Heute präsentiert er sich – wie auch St. Rochus – als romantische Insel im Häusermeer. Rosensträucher, die zwischen den Gräbern wachsen und bunte Blumengestecke, die die meist bemoosten und verwitterten Steinquader schmücken, stellen den Gedanken an Abschied und Vergänglichkeit die Schönheit des erlebten Momentes an die Seite. Die Blumen müssten allerdings in Messingschalen auf Füßen stehen, damit kein Wasser den darunterliegenden Stein zersetze, heißt es in einem Friedhofsratgeber. „Auf die Epitaphien selbst darf gar nichts gestellt werde“, informiert Claudia Maué.
Auch Albrecht Dürer fand hier seine letzte Ruhestätte
Die als Heimatpflegerin bei der Stadt tätige Kunsthistorikerin erzählt von den vielen Vorschriften, die die historische Substanz schützen sollen, „aber es halten sich leider nicht alle dran“. Es müsse jetzt gerichtlich geklärt werden, wem die Epitaphien eigentlich gehörten, den Hinterbliebenen oder der Kirche. „Bislang will keiner für Restaurierungen bezahlen, obwohl es Zuschüsse gibt“, beschreibt Claudia Maué die Situation. Sie ist Vorsitzende des Vereins Nürnberger Epitaphienkunst und -kultur. „Wir hoffen, dass uns der Eintrag in die Welterbeliste weiterbringt, vor allem im Hinblick auf Erhalt und Dokumentation der Epitaphien“, die seit 500 Jahren im gleichen kunsthandwerklichen Verfahren hergestellt würden.
„Sie wollen bestimmt auch zum Dürer?“, fragt Claudia Maué und schlängelt sich zielstrebig durch die nur wenige Zentimeter breiten Durchgänge zwischen den Steinquadern vorbei an den Gräbern von Dürers Freund, dem Humanisten Willibald Pirckheimer, des Holzschnitzers Veit Stoß und des Malers Anselm Feuerbach. Feuerbachs Epitaphium zeigt den 1880 Verstorbenen im Profil, eines der ganz seltenen Portraits. Albrecht Dürer ruht in einem Grab, das Joachim von Sandrart, der Gründer der Nürnberger Malerakademie, 1681 erworben hatte. Auch die Texte in den Epitaphien, mit denen er Dürer preisen ließ, stammen aus dieser Zeit.
Wo die Schlange sich in den Schwanz beißt
Aus kunsthistorischer Sicht seien andere Epitaphien interessanter, erklärt Claudia Maué und deutet auf ein vielgestaltiges Exemplar mit einem singenden Schwan und einer Schlange, die sich in den Schwanz beißt. „Das sind Symbole für Vergänglichkeit und ewiges Leben.“ Ein beliebtes Motiv sei auch Jonas und der Wal gewesen, „als Sinnbild für die Auferstehung“. Die Gestaltung der Epitaphien war stets Ausdruck der kunstgeschichtlichen Entwicklung. Die meisten Gedenkplatten stammen aus der Barockzeit, aber man findet auch Beispiele für den Manierismus oder den Jugendstil. Und heute?
Thomas Haydn, der vis-à-vis von St. Johannis gerade an einem Entwurf arbeitet, erwidert: „Traditionelle Symbole und religiöse Themen sind in den Hintergrund getreten, deren Stelle haben Verweise auf Persönlichkeit und Vorlieben des Verstorbenen eingenommen.“ Natürlich spiele auch der Zeitgeist eine Rolle, aber der Sinn eines Epitaphiums sei geblieben, meint der Nürnberger Kunsthandwerker. „Es ist die Suche nach einem adäquaten Ausdruck des Gedenkens an einen verstorbenen Menschen und für die eigene Trauer.“
– Internet: ww.nuernberg-stadtfuehrung.de (hier können Friedhofsführungen angefragt werden); Epitaphien: Thomas Haydn, Telefon (09 11) 2 87 93 73, Internet: www.epitaphien.de; Verein: www.epitaphienkultur.de.