Kurz vor Weihnachten sollen noch einmal alle Teile des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach erklingen – in der Mainzer Christuskirche, wo vor fast 70 Jahren alles begonnen hatte. Mehrere andere A-Capella-Konzerte zum Jahresende hat der renommierte Bachchor Mainz hingegen bereits abgesagt. Und wie es mit dem Ensemble weitergehen soll, weiß derzeit niemand so recht: Die Stelle des Künstlerischen Leiters ist aktuell vakant, der Chormanagerin musste zum Jahreswechsel wegen fehlender Mittel gekündigt werden. Die künftige Trägerschaft ist ungeklärt.
„Wir fühlen uns wie ein unerwünschtes Kind“, klagt Bernd Sucké, Vorsitzender des Verwaltungsrats. Seit 35 Jahren singt der Klinik-Oberarzt selbst im Bachchor. Viele der Sängerinnen und Sänger kämen von weit her zu den Proben und opferten einen Großteil ihrer Freizeit für die Chorarbeit. Nun sei völlig offen, wie es weitergehen werde. „Es gibt keine Planung für die Konzert-Saison 2024“, sagt Sucké. „Ich weiß nicht, was wir den regelmäßigen Besuchern mit Abonnement sagen sollen.“
Gleichzeitig steht der Bachchor Mainz vor zwei riesigen Herausforderungen. Zum einen musste sich der langjährige Künstlerische Leiter Ralf Otto im Sommer aus gesundheitlichen Gründen aus der Arbeit zurückziehen. Der bekannte Dirigent hatte maßgeblichen Anteil daran, dass aus dem einstigen Kirchenchor der Mainzer Christuskirche ein überregional bekannter Klangkörper wurde. Unter seiner Leitung war auch das Repertoire stark erweitert worden: Die Sängerinnen und Sänger brachten neben ihrem Schwerpunkt auf der Musik von Bach auch Werke von Brahms, Verdi oder der Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Benjamin Britten oder Leonhard Bernstein auf die Bühne.
Und dann geriet der Chor auch noch mitten in die Debatte der hessen-nassauischen Landeskirche (EKHN) um den Reform- und Sparprozess „EKHN 2030“. Die Kirchensynode lobte zwar die sehr gute „und auch international ausstrahlende Arbeit“ des Chors, äußerte aber zugleich Zweifel an der „besonderen Bedeutung für die EKHN als Gesamtkirche“. Im Ergebnis wurde der ursprüngliche Plan, die Mittel der Landeskirche um maximal 30 Prozent zu kürzen, bei den Beratungen sogar noch verschärft. Auf die Hälfte der landeskirchlichen Zuschüsse – 60.000 Euro im Jahr – muss der Chor ab 2024 verzichten.
„Durch diese Extrem-Kürzungen wird es uns unmöglich gemacht, das bisherige Niveau zu halten“, sagt Sucké. Manche in Mainz fürchten inzwischen, dass die Gruppe auseinanderfällt und viele der Sänger sich schon bald anderen Chören zuwenden.
Die Kürzungen seien für den Bachchor nicht überraschend gekommen, teilt EKHN-Sprecher Volker Rahn mit. „Seit anderthalb Jahren wurden intensive Gespräche mit dem Bachchor geführt. Ziel war vor allem eine Neukonzeption der Arbeit.“ Hintergrund der Synodenentscheidung seien Gerechtigkeitsgründe: Kein anderer Chor auf dem Kirchengebiet der EKHN werde direkt von der Landeskirche bezuschusst. „Aus Sicht der EKHN ist die Arbeit grundsätzlich nicht gefährdet, aber natürlich müssen aufwändigere Projekte überdacht werden.“
In der Vergangenheit hatte der Bachchor immer zusätzliches Fördergeld für bestimmte Konzerte erhalten. Außerdem gab es weitere Sponsoren, etwa den im Frühjahr verstorbenen Getränke-Unternehmer und Kultur-Mäzen Peter Eugen Eckes, der dem Kuratorium des Bachchors vorsaß.