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Wim Wenders wird 80: Geschichten von Menschen, die auf der Suche sind

Das gibt es auch nicht alle Tage, dass ein Regisseur zwei Filme im Programm von Cannes hat, dem wichtigsten und elitärsten Filmfestival der Welt: Im Jahr 2023 liefen dort „Perfect Days“ und „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ von Wim Wenders. Insgesamt 20 Mal war er in Cannes vertreten, für seinen Road Movie „Paris, Texas“ hat er 1984 die Goldene Palme bekommen, für „Der Himmel über Berlin“ 1987 den Preis für die beste Regie. Am 14. August wird Wim Wenders 80 Jahre alt und er dürfte der deutsche Filmregisseur mit den meisten Auszeichnungen sein. Nur ein Oscar war noch nicht dabei.

„Perfect Days“ war 2024 immerhin für den Oscar nominiert. Der in Tokyo gedrehte Film erzählt ganz unspektakulär von einem Toilettenreiniger, der ein bescheidenes Leben lebt, der glücklich ist, Musikkassetten zu hören und am Abend ein Buch zu lesen. Bis auf einmal die Vergangenheit in sein Leben bricht. Dieser Toilettenmann ist ein eher introvertierter Einzelgänger, der lieber beobachtet als redet. Damit reiht er sich ein in die lange Reihe Wenders’schen Helden, die mitunter eine existenzialistische Einsamkeit auszeichnet.

Wenders, geboren 1945 in Düsseldorf, fing zunächst an, Medizin und Philosophie zu studieren, bevor er in Paris die Liebe zum Film entdeckte. Ab 1967 studierte er im ersten Jahrgang der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen, schrieb auch für die damals legendäre Zeitschrift „Filmkritik“. Kaum ein anderer Filmregisseur der Gegenwart hat wohl mehr über die Verantwortung des Bildermachens nachgedacht als er. Immer wieder ist er als auch Fotograf hervorgetreten. Legendär sind seine Aufnahmen und Polaroids aus dem amerikanischen Westen.

Die USA, die Weite der Landschaft, aber auch die Widersprüchlichkeit des amerikanischen Traums haben ihn immer fasziniert. Ein uramerikanisches Filmgenre, das Road Movie, hat er in sein Werk integriert. „In meinen Filmen wird viel gereist. Nicht immer, aber oft“, hat Wim Wenders einmal geschrieben. „Ich erzähle Geschichten von Menschen, die auf der Suche sind, und ich erzähle Liebesgeschichten.“ Am schönsten hat er diese Themen in „Paris, Texas“ verwirklicht, in dem ein lange abwesender Mann nach seiner Familie sucht, vor allem nach seiner Frau (Nastassja Kinski).

Mit den Road Movies „Alice in den Städten“ (1974), „Falsche Bewegung“ (1975) und „Im Lauf der Zeit“ (1976) wurde Wenders sehr schnell zu einer Galionsfigur des Neuen Deutschen Films, auch wenn manche Dialoge doch sehr jener Zeit verpflichtet wirken. Das Meisterwerk seiner frühen Jahre ist „Der amerikanische Freund“ von 1978 mit Bruno Ganz und Dennis Hopper: Die Geschichte eines seltsamen Auftragsmords, präzise und ohne Abschweifungen erzählt.

1978 ging Wenders in die USA, um für Francis Ford Coppola „Hammett“ zu inszenieren, ein Projekt, das sich aufgrund diverser Querelen und Eingriffe des Produzenten über vier Jahre hinzog. Heraus kam ein synthetischer Studiofilm, den Wenders selbst nicht mochte. Danach ließ er sich erst 1997 wieder auf eine größere US-Produktion ein: „End of Violence“ setzt sich in Gestalt eines Thrillers kritisch mit der Gewalt in der Film- und Unterhaltungsindustrie auseinander.

Wim Wenders beschrieb diesen Film einmal als seinen „zweiten Neuanfang“. Mit ihm begann seine zweite US-Phase mit Werken wie „The Million Dollar Hotel“ über die Schattenseiten des amerikanischen Traums oder „Land of Plenty“ über die Befindlichkeit nach dem 11. September und dem Irak-Krieg. Die Geschichte der christlich erzogenen Lana, die ihren vom Vietnamkrieg traumatisierten Onkel sucht, wird zu einer Studie über Verunsicherung, Paranoia und Armut.

Wenders ist auch im Dokumentarfilm aktiv, speziell in sehr intensiven Künstlerporträts. In „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ erforschte er 2023 das Werk des Künstlers Anselm Kiefer. Der Film ist in 3D gedreht, ebenso wie schon 2012 „Pina“, seine Hommage an die Choreografin Pina Bausch. In „Das Salz der Erde“ stellte er das Leben des Fotografen Sebastião Salgado vor und dessen humanistische, sozialkritische Aufnahmen. Aktuell arbeitet er an einem Film über den Architekten Peter Zumthor.

Eine wichtige Rolle, das wird oft unterschätzt, spielt bei Wenders die Musik. „Perfect Days“ heißt nach einem Lied von Lou Reed und „Land of Plenty“ nach einem Song von Leonard Cohen. Wenders hat auch Musik-Dokus gedreht, etwa über „U2“, „Die Toten Hosen“ und „BAP“. Und mit „Buena Vista Social Club“ über kubanische Musiker gelang ihm 1991 ein großer Publikums-Erfolg.

Wenders, seit 1993 mit der Fotografin Donata Wenders verheiratet, bezeichnet sich selbst als einen Reisenden. Auch für sein neuestes Werk, „Die Schlüssel der Freiheit“, hat er sich im wörtlichen Sinn auf eine Reise begeben – diesmal aber auf eine kurze, nach Reims in Frankreich. Und es ist auch nur ein kurzer Film, vier Minuten lang: Ein Besuch in dem Museum, das an die bedingungslose Kapitulation der Nazi-Wehrmacht am 8. Mai 1945 erinnert. Wenders ist ein Vierteljahr nach Kriegsende geboren. Und lässt seinen Film enden mit den Worten: „Dass Freiheit nicht selbstverständlich ist.“