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Willkommen bei den Luthers

Wie schafft man es, die Botschaft der Reformation lebendig zu machen? Die Gemeinde in Methler hat einen Stationenweg inszeniert, auf dem man eintauchen kann in Luthers Leben und Glauben

Der Weg von Worms bis zur Wartburg ist weit und voller Gefahren. Er führt durch dämmrige Hohlwege, unter tief hängenden Blättern hindurch. Am Boden leuchten giftig rot die Pilze, und in der Ferne ist das Geräusch von rollenden Rädern und rauschendem Regen zu hören…
In der Kirche von Kamen-Methler sind es nur einige Schritte hinter der Orgel entlang, um vom Thronsaal des Kaisers in Luthers Studierstube auf der Wartburg zu gelangen.

Nur ein paar Schritte von Worms zur Wartburg

Die Gefahren, vor denen Reiseleiterin Susanne Baumert zuvor gewarnt hatte, gibt es nur im Spiel: im Theater-Projekt „Reformationsgarten“, das in zwölf Stationen durch die Vergangenheit vor 500 Jahren führt. Die Landfrauen, die Luthers Leben gerade auf diese Weise miterleben, müssen also kein Risiko fürchten. Eine zückt noch kurz ihr Handy – „ein Foto für meine Schwester, die ist schon ganz gespannt“ –, dann geht es um die Ecke, und die Frauen stehen Martin Luther gegenüber, der hinter einem schweren Holztisch nach deutschen Wörtern für seine Bibelübersetzung sucht.
Die Gruppe der Landfrauen hat Luther heute bereits auf mehreren Stationen seines Lebens begleitet: Sie saßen mit ihm in der Lateinschule, sahen ihn im Gewitter sein Mönchsgelübde herausschreien und waren dabei, als er in seiner Studierstube mit der bangen Frage rang: „Wie kann ich wissen, dass es genug ist, was ich leiste?“.
Da kann man schon Gänsehaut kriegen, wenn Luther sich auf die steile Treppe zur Empore stellt und seine erlösende Entdeckung verkündigt: Es ist allein die Gnade, die den Menschen gerecht macht!
Die kleinen Szenen, liebevoll bis ins Detail gestaltet, üben einen Sog aus: eine Ahnung von Mittelalter, Endzeitfurcht, Kaiserpracht und reformatorischer Aufbruchsstimmung – auch wenn schon mal der Text stockt oder ein Lichteffekt danebengeht. Vor allem da, wo die Gruppe mit einbezogen wird ins Geschehen, fühlt man sich ganz dabei: etwa wenn die Frauen vom Mönch Tetzel eigene Ablassbriefe erwerben können oder als Reichstagsabgeordnete von Martin Luther den Widerruf seiner Thesen fordern: „Revoco“ – „Widerrufe“ –, klingt es im Chor.

Frau Katharina bittet zum Gastmahl

Nach einem kurzen Gottesdienst mit Luther-Predigt und Luther-Liedern führt Reiseleiterin Susanne Baumert ins Gemeindehaus, wo Katharina, Martins „Herr Käthe“, zum Gastmahl bittet und ihr Mann, der Doctor Martinus, noch einige Zitate seiner Tischreden zum Besten gibt.
Kurz darauf wird Martin Luther wieder zu Pfarrer Jochen Voigt, sitzt in seinem Wams auf dem Kirchplatz in der Herbstsonne und trinkt Tee. Lagebesprechung mit Projektleiterin Sabine Schwarz: Bisher ist alles im Zeitplan. Eine Gruppe ist gerade in der Kirche; die nächste trifft eben auf dem Parkplatz ein. In der Küche wird eifrig abgewaschen und das nächste Gastmahl vorbereitet.
39 Gruppen à zwölf Personen, also rund 400 Besucher, führen die ehrenamtlichen Schauspielerinnen und Schauspieler innerhalb von vier Tagen durch die Vergangenheit. Dabei wechseln sie sich ab; allein fünf Luthers stehen bereit, einer davon übrigens ein katholischer Diakon. Neben der Fassung für Erwachsene gibt es auch noch eine Kinderversion, weil auch Schulklassen zu den Besuchern gehören.
Ein Riesen-Aufwand für die kleine Gemeinde – zu schaffen nur mit einer Extraportion Begeisterung, die man allen Beteiligten abspürt.
Die Idee stammt von Presbyterin Sabine Schwarz. „Ich kannte einige Ostergärten", erzählt sie, „und da habe ich mir gedacht: Das Prinzip könnte man doch zum Reformationsjubiläum auch auf Luthers Leben anwenden.“ In der Gemeinde sprang der Funke schnell über. Bereits im vergangenen September stand die Aktion als Höhepunkt des Reformationsjubiläums in der Gemeinde fest.
Dann ging es richtig zur Sache: Drei Projekttage standen auf dem Programm, während derer das gesamte Konzept, angefangen von der Stationenaufteilung über die Texte bis hin zu Geräuscheffekten und kleinsten Details der Ausstattung geplant und ausgeführt wurden. Dabei wurde auch Wert auf Theologisches gelegt: Luther sollte nicht zum Helden werden, aber die Hauptaussagen seiner Botschaft sollten gut verständlich rüberkommen.
Unversehens entwickelte sich das Projekt zu einer Aktion für die ganze Gemeinde und darüber hinaus.  Die prächtigen Kürbisse auf Luthers Tafel stammen von einem Hof in der Nähe, ein Secondhand-Kaufhaus verlieh die Kostüme. Für die Ausstattung des Thronsaales zu Worms räumte eine Frauenhilfsfrau ihr gesamtes Wohnzimmer aus – „Stühle habe ich im Moment keine mehr“, erzählt sie lachend.

Feilen bis zur letzten Minute

Neben den Schauspielern, die rund die Hälfte des 35-köpfigen Teams ausmachen, gibt es Techniker, Kostümbildner und Kuchenbäckerinnen. Unermüdlich wurde am Zuschnitt der Szenen, an den Texten und der Deko gefeilt – „uns ist bis zur letzten Minute eingefallen, was wir verbessern können“, sagt Schwarz. Einige der Mitarbeitenden haben sich dafür extra freigenommen.
Anderthalb Tage liegen jetzt hinter den Schauspielern. Müdigkeit? Keine Spur. Im Gegenteil: Das Hineinschlüpfen in die Rollen fühlt sich immer natürlicher an; mancher weicht schon vom auswendig gelernten Text ab und improvisiert. „Wenn eine Gruppe richtig mitgeht, gibt es tolle Gespräche“, sagt Reiseleiterin Susanne Baumert.
Und was passiert, wenn am Sonntagabend alles vorbei ist? „Erst räumen wir auf“, sagt Sabine Schwarz. „Und dann wird gefeiert!“