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Wie der Wiener Zentralfriedhof zum Gedächtnis der Stadt wurde

Bis auf Mozart sind sie hier alle versammelt – die Crème de la Crème österreichischer Komponisten. Doch der Wiener Zentralfriedhof bietet weit mehr als nur prominente Grabstellen.

Die Neuen Arkaden am Zentralfriedhof in Wien
Die Neuen Arkaden am Zentralfriedhof in WienImago / robertkalb photographien

Hier liegen sie, die Größen Österreichs. Von Beethoven, Strauss und Schubert über Arnold Schönberg bis hin zu Falco und Udo Jürgens. Der Wiener Zentralfriedhof wurde vor rund 150 Jahren eröffnet. Die erste Einzelbestattung war jene von Jakob Zelzer, durchgeführt am 1. November 1874.

Das Grab existiert heute noch – in unmittelbarer Nachbarschaft zum Verwaltungsgebäude an der Friedhofsmauer. Seither wirft der Friedhof ein Schlaglicht auf die Wiener Stadtgeschichte.

Friedhof bietet tausende Stadt-Geschichten

So wie die Gruft der Familie Thonet. “Quasi der Vorläufer von Ikea”, sagen Kenner scherzhaft. Der deutsche Tischlermeister Michael Thonet (1796-1871), der 1842 nach Wien kam, ist Erfinder des Kaffeehausstuhls. Mehr als 40 Millionen Mal wurde sein “Stuhl Nr. 14” verkauft – verschickt in kleinen Paketen, zusammensetzbar mit nur sieben Schrauben.

Einige Friedhofsecken weiter zieht ein anderes Grab Blicke auf sich. “William Robert Jones wurde am 20.11.2002 in den USA hingerichtet”, lautet die Inschrift. Für zeitweiliges Aufsehen sorgte eine Strichliste – 983 Einkerbungen, einen für jeden Hingerichteten seit der Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA 1977 bis Dezember 2003. Jones wurde wegen Mordes verurteilt, beteuerte bis zum Schluss seine Unschuld.

Für ihn stand fest: Er wollte nicht in dem Land begraben werden, in dem man ihm das Leben genommen hatte. Seine Frau, eine Österreicherin, ließ ihn daraufhin in Wien bestatten. Die entsprechende Grabstelle Gruppe 15E Reihe 15 Nummer 18 ist laut Mitteilung des Infopoints am Zentralfriedhof bis 2063 “aufrecht”.

Das Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof von Ludwig van Beethoven
Das Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof von Ludwig van BeethovenImago / Volker Preußer

In Österreichs Metropole geht man mit dem Tod gelassen um. Nicht umsonst sang der österreichische Komponist Georg Kreisler 1969: “Der Tod, das muss ein Wiener sein”. Allein das Finanzielle muss stimmen. Eine im Internet einsehbare Entgeltliste informiert über die Kosten auf den Wiener Friedhöfen. Da schlägt beispielsweise das “Bereitstellungsentgelt” für einen “Familien- und Freundschaftsbaum” mit 1.073 Euro zu Buche. Die Grabkultur ist im Wandel – auch auf dem altehrwürdigen Zentralfriedhof. Auf dem rund 2,5 Quadratkilometer großen Friedhof, der zu den größten Europas zählt, gibt es bei der Gestaltung der letzten Ruhestätte kaum Vorgaben.

Rund 100 Kilometer betonierte Straße und ein Wegenetz von insgesamt 450 Kilometern verbinden die 330.000 Grabstätten. Besuchern ist die Zufahrt mit dem PKW gestattet. Auch Fahrradfahren ist erlaubt, Einradfahren und Skaten ebenso – Motorräder, Mopeds und Quads dagegen müssen draußen bleiben. Und seit 1975 ist auch Jagen auf dem parkähnlichen Gelände verboten, auch wenn regelmäßig der Wildbestand am Friedhof erhoben wird. Alle Hände voll zu tun haben Totengräber und Friedhofsgärtner – kein Wunder bei rund 20 bis 25 Beerdigungen am Tag. Letztere sind auch zuständig für die Ehrengräber, bei denen die Stadt Wien für Grabmiete und -pflege aufkommt.

Skurrile Geschichten über Tot und Leben

Die Idee für diese besonderen Gräber geht auf die Gründungszeit des Friedhofs zurück. Die prominenten Toten sollten die Attraktivität des am Stadtrand gelegenen Friedhofs steigern, auf dem anfangs niemand beerdigt werden mochte. Der Plan ging auf; der Friedhof wurde zur beliebten letzten Ruhestätte. Und nicht nur die Toten, auch die Lebenden fühlen sich angezogen von den Grabstätten der Prominenz. Zu den besonders gefragten Gräbern gehört die letzte Ruhestätte von Udo Jürgens, ein weiß verhüllter Flügel, die Asche des 2014 verstorbenen Sängers in der Mitte eingelassen – angeblich, weil er auf keinen Fall unter die Erde kommen wollte.

Grabstelle des Musikers Udo Jürgens auf dem Zentralfriedhof in Wien
Grabstelle des Musikers Udo Jürgens auf dem Zentralfriedhof in WienImago / Wolfgang Simlinger

An mehr oder weniger skurrilen Geschichten über die Toten und Lebenden herrscht kein Mangel. Da ist das Grab der Erfinderin der ersten Einbauküche oder das der ersten Weltreisenden Österreichs. Oder die Gruft mit 99 Urnenplätzen, die ein Japaner reservierten ließ: für Beethoven-Fans, die ihre letzte Ruhe in der Nähe des großen Komponisten finden wollen.