„Unbelastet?“: Die titelgebende Frage einer Ausstellung, die parallel in München und Regenburg zu sehen ist, ist rhetorisch gemeint. Denn die Osteuropaforscher der NS-Zeit und der Nachkriegszeit waren belastet. Ein Ausstellungsprojekt hat sie kritisch in den Blick genommen. Es zeigt zahlreiche inhaltliche und personelle Kontinuitäten zur NS-Zeit, die bisher kaum aufgearbeitet wurden. Angesichts der politischen Relevanz der Osteuropaforschung vor und nach 1945 ist eine kritische Auseinandersetzung „überfällig“, sagt der Historiker Felix Jeschke von der Ludwig-Maximilians-Universität München.
epd: Herr Jeschke, in den Ausstellungen wird von einer „Verwickeltheit“ der Osteuropaforscher oder einer Nähe zum Nationalsozialismus gesprochen. So hätten sie den Zweiten Weltkrieg mit vorbereitet und auch den Holocaust. Wie ist das gemeint?
Jeschke: Die meisten Forscher, mit denen wir uns in dem Projekt beschäftigt haben, waren tatsächlich seit 1933 Parteimitglieder und haben innerhalb des NS-Systems gearbeitet. Sie haben als Funktionseliten dem System ihre Expertise zu Ost- und Südosteuropa zur Verfügung gestellt. Im Projekt geht es uns auch um Kontinuitäten nach 1945. Es gab zwar eine kurze Pause zwischen 1945 und den frühen 1950er Jahren, in der wenig passiert ist. Aber die meisten Osteuropaforscher sind danach wieder in diesen Bereich eingestiegen und konnten ihre Arbeit unter den geänderten Vorzeichen des Kalten Kriegs fortsetzen – oftmals durch ihre politischen Netzwerke, die bis in die bayerische Staatsregierung hineinreichten.
epd: Das müssen Sie erklären, inwiefern die frühe bayerische CSU darin verwickelt war.
Jeschke: Es gab einen wichtigen Forscher, der oft auch als Vater der deutschen Südosteuropaforschung angesehen wird: Fritz Valjavec. Er hat auch schon vor 1945 im Münchner Südost-Institut gearbeitet. In der NS-Zeit hat er Karriere gemacht, er hat unter anderem für den Sicherheitsdienst der SS in Südosteuropa Informationen gesammelt. Ab 1950/51 konnte er das Südost-Institut durch seine Kontakte zur CSU wieder aufbauen. Eine wichtige Rolle hat dabei Joachim Oster gespielt, der Gründungsmitglied der CSU war und auch im Bundeskanzleramt für Konrad Adenauer gearbeitet hat. Durch solche Netzwerke konnte Valjavec die Finanzierung sichern. Dagegen gab es Widerstände innerhalb der CSU, wie zum Beispiel von Kultusminister Alois Hundhammer, der sich wegen Valjavec’ NS-Vergangenheit gegen ihn aussprach. Aus heutiger Sicht muss man Valjavec als Nationalsozialisten bezeichnen. Aber er konnte seine Netzwerke auch nach dem Krieg nutzen.
epd: Kontinuitäten in Politik und Justiz in der Nachkriegszeit sind wissenschaftlich belegt. Warum nehmen Sie jetzt die Osteuropaforscher in den Blick?
Jeschke: Viele Historiker, die im Nationalsozialismus gearbeitet haben, waren eng mit dem System verbunden. Aber gerade für die Münchner Osteuropaforschung ist dies bisher kaum aufgearbeitet worden. Für Personen wie Valjavec, der wirklich stark belastet war, gibt es bislang kaum kritische Forschung, keine Biografie. Und die Kontinuitäten in die Nachkriegszeit sind für viele Wissenschaftsfelder noch kaum erforscht, da ist die Osteuropaforschung keine Ausnahme. Wir haben das Projekt im Rahmen des Masterstudiengangs „Osteuropastudien“ gemacht, der sowohl in München als auch in Regensburg angesiedelt ist. Wir wollten ein Zeichen setzen, um diese Aufarbeitung für unser Fach anzugehen. Das ist überfällig. (2431/24.07.2025)